Titel: | Was ist eigentlich Fließarbeit? |
Autor: | Werner Kunz |
Fundstelle: | Band 342, Jahrgang 1927, S. 76 |
Download: | XML |
Was ist eigentlich Fließarbeit?
Von Dipl.-Ing. Werner Kunz.
KUNZ, Was ist eigentlich Fließarbeit?
mf. (Nachdruck verboten.) Auch in der Technik gibt es Schlagwörter. Das neueste
heißt: Fließarbeit. Was das bedeutet, wissen wohl die Ingenieure, aber auch nicht
alle; die Nichtfachleute aber machen sich entweder gar keinen oder einen ganz
falschen Begriff davon. Oft hört man die Ansicht, die Fließarbeit sei von Henry Ford
erfunden worden. Auch das ist nicht richtig, denn er war wohl zwar der Erste, der
die Fließarbeit mit Hilfe des sogenannten Montagebandes im Maschinenbau anwendete,
aber er sagt selbst in seinem Buche „Mein Leben und mein Werk,“ daß er es den
Fleischpackern in den Chikagoer Schlachthäusern nachgemacht habe.
Auf die Frage, was Fließarbeit ist, antwortet Frank Mäckbach in dem im Auftrage des
Ausschusses für wirtschaftliche Fertigung herausgegebenen Buche „Fließarbeit“
folgendermaßen: „Fließarbeit ist eine örtlich fortschreitende, zeitlich
bestimmte, lückenlose Folge von Arbeitsgängen.“ Der Zweck aber jeder
Fließarbeit ist eine Beschleunigung des Herstellungsvorganges und damit eine
Verringerung der Erzeugungskosten. Die Vorteile der Fließarbeit bestehen vor allem
in einer Herabsetzung der Beförderungskosten und in der Möglichkeit, den Arbeitsraum
sowie die Arbeitskräfte besser auszunutzen, Lager – namentlich Zwischenlager – und
vor allem Kapital zu sparen.
Meist versteht man unter Fließarbeit eine Fertigung, bei der das Werkstück auf einer
sehr langsam fortschreitenden Fördervorrichtung (Bandförderer, Hängebahn,
Rollenbahn, Umlaufkette, Drehtisch usw.) an den einzelnen Arbeitsstellen
vorbeigeführt wird. Unbedingt notwendig ist das aber nicht; auch bei der Weitergabe
des Werkstückes von Hand oder z.B., wenn es in Rinnen oder ähnlichen Bahnen von Hand
weitergeschoben wird, können die Bedingungen der Fließarbeit erfüllt sein. Jeder
Arbeiter führt dabei eine bestimmte, streng abgegrenzte Arbeitsleistung aus, wofür
ihm eine stets gleichbleibende Zeit zur Verfügung steht. Die Fließarbeit bedingt
daher eine starke Unterteilung der Arbeit. Während früher ein Mann eine ganze Reihe
von Arbeitsgängen ausführte, hat bei der Fließarbeit jeder Mann an seinem Werkstück
nur eine Arbeit zu leisten, dann ist das Stück an seinem Stand vorbei, ein neues
dafür herangekommen, an dem er das Gleiche ausführt. Die Erfahrung zeigt, daß
hierbei viel mehr geschafft wird als früher und daß die Gesamtlöhne geringer werden,
selbst wenn der Lohn des einzelnen Arbeiters höher ist als bisher. So können die
Verkaufspreise herabgesetzt werden, wodurch sich wiederum der Umsatz hebt. Die
Fordschen Kraftwagenfabriken zeigen dies am deutlichsten, wenn auch betont werden
muß, daß die dort ausgeführten Arbeitsverfahren nicht auch für Deutschland unbedingt
verwendbar sind. Jedenfalls hat Ford aber den Beweis erbracht, daß beim Ersatz der
Handarbeit durch Maschinenarbeit, wo es nur irgend möglich ist, keine Arbeiter
überflüssig werden, sondern daß im Gegenteil durch Vergrößerung des Umsatzes der
Bedarf an Arbeitskräften wächst und dabei bessere Löhne gezahlt werden können.
Die Fließarbeit war eigentlich das Ursprüngliche, denn ursprünglich hat man
einen Gegenstand in der Weise hergestellt, daß man fortlaufend daran gearbeitet hat,
bis er fertig war. Erst unsere Fabrikbetriebe haben diesen Weg verlassen, als sie
sich für jede Arbeit Sonderwerkstätten schufen, beispielsweise eine Gießerei, eine
Fräserei, eine Bohrerei und eine Dreherei sowie eine Werkstatt für den Zusammenbau –
auf deutsch nennt man ihn „Montage,“ obwohl auch an den anderen Wochentagen
dort gearbeitet werden soll. Einzelteile mußten oft alle diese Werkstätten
durchlaufen, was mit großen Beförderungskosten und mit erheblichen Zeitverlusten
verbunden ist. Oft waren dann die einzelnen Werkstätten nicht gleichmäßig
beschäftigt und arbeiteten „auf Lager“ – große Lagerräume waren dafür
erforderlich und gewaltige Geldwerte wurden so festgelegt und fraßen Zinsen: Bei der
Fließarbeit gibt es fast keine Lager mehr und es gibt eigentlich auch keine
Sonderwerkstätten: Das Werkstück läuft so weiter, daß es auf dem denkbar kürzesten
Wege alle Bearbeitungen erfährt, die an ihm bis zur Fertigstellung nötig sind, und
danach sind eben die es bearbeitenden Maschinen aufgestellt: Auf je eine
Gießmaschine folgt beispielsweise eine Fräs- und auf diese eine Bohrmaschine usw.,
so daß also nicht mehr gleichartige Maschinen in einer Werkstatt vereinigt sind. Was
auf diesem Wege erreicht werden kann, zeigt das Beispiel von Ford: Wie Prof. A.
Wallichs von der Technischen Hochschule in Aachen in einem sehr lesenswerten und
auch dem Laien, der sich etwas eingehender über das Wesen der Fließarbeit
unterrichten will, durchaus verständlichen kleinen Heftchen „Die Fließarbeit und
ihre Nutzbarmachung für die deutsche Wirtschaft“ ausführt, treibt bei Ford
ein Motor schon 5 Stunden, nachdem er flüssiges Eisen war, den fertigen Wagen an;
dieses Kunststück wird täglich 8000mal ausgeführt! Kein Wunder, daß Ford sein
Betriebskapital 50mal in einem Jahre umsetzt, während dies in gut geleiteten
Fabriken bei uns nur 3- bis 4mal gelingt.
Für das Fortschreiten der Arbeit ist es wichtig, sie in solche Gruppen zu
unterteilen, daß jede Arbeitshandlung ebenso lang dauert wie jede vorhergehende und
folgende, damit die Kette der Werkstücke nirgends abreißt und sich nirgends staut.
Natürlich kann man z.B. Arbeiten, die ein Vielfaches der Einheitszeit dauern, so in
den Fluß einschalten, daß man dort zwei oder mehr Maschinen aufstellt und das erste
herankommende Stück immer der ersten, das folgende der zweiten usw. Maschine
zuleitet, während sie sich beim weiteren Fluß wieder hintereinander reihen.
So sieht die „örtlich fortschreitende, zeitlich bestimmte, lückenlose Folge von
Arbeitsgängen“ der Fließarbeit aus. In Deutschland gibt es schon eine ganze
Reihe von Werken, die die fließende Arbeit eingeführt haben, und nach den damit
gemachten Erfahrungen ist bestimmt anzunehmen, daß weitere folgen werden. Freilich
eignet sich die Fließarbeit nur für Massenerzeugnisse, für Erzeugnisse, von denen
viele gleiche fortlaufend angefertigt werden. Uns Deutschen liegt das weniger: Aber
wir werden uns daran gewöhnen müssen, mehr „genormte“
Gebrauchsgegenstände zu verwenden, wenn wir im Wirtschaftskampf mit Völkern, die
dies tun, nicht unterliegen wollen – und schließlich hat die Normung ja auch dadurch
ihre gewaltigen Vorteile, daß man zu einem Gegenstand immer wieder passende
Ersatzteile bekommt, während man ihn jetzt oft wegen einer fehlenden Kleinigkeit,
die nicht mehr zu bekommen ist, wegwerfen muß. Daß sich die Normung und mit ihr die
Fließarbeit brechen werden, ist schon deshalb sicher, weil die so hergestellten
Waren bedeutend billiger werden. So wird auch der, der sich jetzt noch durchaus
abgeneigt zeigt, genormte Gegenstände zu verwenden, doch durch die Rücksicht
auf seinen Geldbeutel dazu gezwungen werden, keinen Anstoß mehr daran zu
nehmen, wenn Neumanns und Lehmanns dieselben Stühle haben wie Schmidts und Müllers.
Die Furcht, unser Leben könne dadurch an Schönheit verlieren, ist unbegründet, denn
die Ersparnisse an den Gegenständen des täglichen Bedarfs werden eben durch die
Normung und damit durch Ermöglichung der Fließarbeit so bedeutend sein, daß uns zur
Verschönerung unseres Lebens viel mehr Geld übrig bleibt als jetzt. Und auch die
„Fließarbeiter“ werden infolge ihres höheren Verdienstes an der
Verbesserung der allgemeinen Lebenshaltung reichlich Anteil haben, ganz abgesehen
davon, daß auch sie der Verbilligung der Waren teilhaftig werden.