Titel: Kleinere Mitteilungen.
Fundstelle: Band 311, Jahrgang 1899, Miszellen, S. 148
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Kleinere Mitteilungen. Kleinere Mitteilungen. Ueber neue Luftwiderstandsmessungen. Die ersten genauen Versuche über den Luftwiderstand sind erst vor etwa 30 Jahren von Schellbach angestellt worden (K. Schellbach, Poggend. Ann., 1871 Bd. 143 S. 1). In dem Masse jedoch, wie in den letzten Jahrzehnten das Problem des mechanischen Fluges Interesse gewonnen hat, haben sich auch andere Physiker der Gegenwart, wie Langley, Lord Rayleigh und G. Wellner mit Experimenten über Luftwiderstände befasst. Die von den verschiedenen Forschern gemachten Beobachtungen weichen aber noch so erheblich voneinander ab, dass man kein Resultat als vollständig fehlerfrei ansehen kann. Der Grund hierfür ist in der Unvollkommenheit der Vorrichtungen zu suchen, mit denen die Versuche angestellt wurden. Schellbach war der erste, der zur Untersuchung des Luftwiderstandes einen Rotationsapparat angewendet hat, und heute werden zur Untersuchung der Luftwiderstandsgesetze nur solche Apparate verwendet, weil bei künstlich erzeugten Luftströmen infolge der Reibung der Luft an den Wänden des Ausflussrohres die einzelnen Punkte des Querschnittes verschiedene Geschwindigkeit haben. In neuester Zeit hat nun O. Mannesmann mit einem verbesserten Rotationsapparate den Luftwiderstand gemessen (Wiedem. Ann., 1899 Bd. 67 S. 105). Die zu untersuchende Fläche wurde an einem in horizontaler Ebene rotierenden Messingarm von 0,485 m Länge so befestigt, dass sie sich nur in Richtung der Bewegung in einer Führung verschieben kann. Die Verschiebung der Fläche wird durch einen Faden, der, von der Fläche ausgehend, über eine in der Verlängerung der Führung liegende Rolle läuft und in der vertikalen Achse des Apparates mit einem durch ein Gewicht angespannten vertikalen Faden so befestigt, dass er um denselben möglichst reibungslos rotieren kann. Wenn man die zu untersuchende Fläche verschiebt, so erfährt der vertikale Faden eine seitliche Ausbiegung, wobei das ihn belastende Gewicht gehoben wird. Wird der Apparat in Rotation versetzt, so bewirkt der Luftwiderstand die Verschiebung der Fläche in der Führung und somit ein Heben des Gewichtes. Die Verschiebung der Fläche hört erst auf, wenn der Zug in dem Faden dem Luftwiderstand das Gleichgewicht hält. Das Gewicht ist mit einem Zeiger aus Aluminium verbunden, so dass seine Verschiebung auf einer Skala in hundertfacher Vergrösserung sichtbar gemacht wird. Die rotierende Achse trägt am oberen Ende eine Scheibe, die mit der Kraftmaschine durch einen Riemen verbunden ist. Eine zweite, mit einem Gummirand versehene Scheibe rollt auf dem Rade eines Tourenzählers. Der ganze Apparat wird von einer starken, quadratischen Eisenstange getragen, die so befestigt ist, dass sie keine Schwingungen zulässt. Als Kraftquelle diente für kleine Rotationsgeschwindigkeiten eine Turbine von 1/20 ; mittlere Rotationsgeschwindigkeiten wurden durch einen Elektromotor von ¼ erzeugt, und für Geschwindigkeiten von 15 bis 25 m pro Sekunde wurde ein grösserer Elektromotor von ½ verwendet. Der elektrische Strom für die Motoren wurde von einer aus 36 Elementen bestehenden Akkumulatorenbatterie von 72 Volt Spannung geliefert. Bei der Bewegung eines Körpers wird die ihn umgebende Luft in Bewegung gesetzt, die hauptsächlich darin besteht, dass die Luft vor dem Körper auseinander und hinter ihm wieder zusammengeht. Der Luftwiderstand kommt aber nur dann rein zur Geltung, wenn für die abfliessenden Luftteilchen keine Richtung bevorzugt ist. Jeder Rotationsapparat hat aber den Nachteil, dass, infolge der ungleichen Geschwindigkeit der einzelnen Teile der Scheibe, ein von dem inneren nach dem äusseren Rande hinfliessender Luftstrom entsteht. Diese Fehlerquelle wurde dadurch möglichst verkleinert, dass nur kleine Flächen bis zu 10 cm Durchmesser bei grosser Geschwindigkeit untersucht wurden. Bei grösseren Flächen wurde die Geschwindigkeit so klein gewählt, dass die Luftströmungen überhaupt keine Rolle mehr spielen konnten. Auch der Umstand, dass die Flächen in ihrem Mittelpunkt geführt wurden, schliesst einen kleinen Fehler in sich, weil die Resultierende des Luftwiderstandes nicht genau durch den geometrischen Mittelpunkt geht; der Luftwiderstand am äusseren Rande ist wegen der etwas grösseren Geschwindigkeit grösser als am inneren Rande. Die dadurch entstehende Klemmung an der Führung wurde vermieden, indem man den Faden nicht an der Führung befestigte, sondern ihn durch Verzweigung an drei nahe am Umfange liegenden Punkten der Fläche angreifen liess. Grosse Schwierigkeiten verursachte anfänglich die auftretende Zentrifugalkraft, die unter Umständen eine ganz bedeutende Rolle spielen kann. Es war erforderlich, das Gewicht der rotierenden Masse recht klein zu nehmen und wurden deshalb sowohl die Führung als auch die Flächen aus Aluminium verfertigt. Die Aluminiumscheiben hatten eine Dicke von 0,2 mm und waren gegen Verbiegung durch einen Rand von doppelter Dicke verstärkt. Die grösseren Flächen wurden aus einem mit Pergamentpapier beklebten Ring aus Aluminiumdraht hergestellt. Die ersten Versuche sollten Auskunft geben, in welcher Beziehung die Geschwindigkeit der bewegten Fläche zu ihrem Luftwiderstand steht. Newton hat angenommen, dass der Luftwiderstand dem Quadrat der Geschwindigkeit des Körpers proportional sei, und Schellbach hat in der bereits erwähnten Arbeit die experimentelle Bestätigung des Newton'schen Gesetzes für Geschwindigkeiten von 17 cm bis zu 6 m gebracht. Die heute ziemlich allgemein herrschende Ansicht geht dahin, dass, während bei Geschwindigkeiten bis zu einigen Centimetern pro Sekunde der Luftwiderstand mit der ersten Potenz der Geschwindigkeit zunimmt, man allmählich zur zweiten, dann zur dritten und bei 500 m sogar zur vierten Potenz übergehen muss. Die Mannesmann'schen Versuche haben nun ergeben, dass das Newton'sche Gesetz bis zu 25 m Geschwindigkeit richtig ist. Welche Gesetze bei noch höheren Geschwindigkeiten gelten, ob der Luftwiderstand allmählich den ihm nach dem Newton'schen Gesetze zukommenden Wert überschreitet oder ob infolge einer plötzlichen Verdichtung der vor dem Körper hergetriebenen Luftmasse der Luftwiderstand sich sprungweise ändert, ist noch nicht entschieden. Die letztere Annahme gewinnt aber an Wahrscheinlichkeit durch die Untersuchungen von E. Valler (Compt. rend., 1890 S. 885), der an Geschossen nachgewiesen hat, dass, wenn die Geschwindigkeit des Körpers der Schallgeschwindigkeit gleichkommt, ganz unerwartete Erscheinungen auftreten, und der Luftwiderstand sehr verschieden ist von dem Mittelwert des Widerstandes bei etwas geringerer und etwas höherer Geschwindigkeit. Textabbildung Bd. 311, S. 148 Fig. 1. Die Versuchsresultate mit Scheiben von 6,6 bis 20 cm Durchmesser bei einer Geschwindigkeit von 1 m pro Sekunde sind in Fig. 1 graphisch dargestellt. Aus dieser Darstellung ersieht man, dass der spezifische Luftwiderstand, d.h. der auf die Einheit der Fläche und Geschwindigkeit reduzierte Luftwiderstand, bei jeder Vergrösserung der bewegten Scheibe zunimmt. Die durch die Endpunkte der Ordinaten gezogene krumme Linie nähert sich für grössere Flächen sehr der geraden Linie, so dass man annehmen kann, dass der spezifische Luftwiderstand proportional der Flächenvergrösserung wächst, und dass die Abweichung von der geraden Linie nur den durch Führung und rotierenden Arm hervorgerufenen Luftströmungen zuzuschreiben ist. Die Versuche haben weiter ergeben, dass der spezifische Luftwiderstand auch von der Gestalt der ebenen Fläche abhängt. Derselbe ist am kleinsten bei runden Scheiben, er hat bei einem Quadrat von gleicher Grösse einen um 2 % höheren Wert, während bei langgestreckten Rechtecken die Vergrösserung des spezifischen Widerstandes bis zu 8 % betragen kann. Bei den Untersuchungen über den Luftwiderstand poröser Stoffe, sogen. „Gaze“, hat sich ergeben, dass der spezifische Widerstand bei porösen Flächen mit der Scheibengrösse bedeutend langsamer wächst wie bei den Vollflächen. Diese Erscheinung ist nicht auffallend, wenn man bedenkt, dass hier der Luftabfluss keine so erhebliche Rolle spielt, indem ein grosser Teil der vor der bewegten Fläche befindlichen Luft durch die Oeffnungen direkt auf die Rückseite gelangen kann. Das quadratische Widerstandsgesetz hat hier keine Gültigkeit, bei wachsender Geschwindigkeit wird vielmehr der spezifische Widerstand kleiner; dieses Resultat ergaben auch durchlöcherte Aluminiumscheiben. Für die Segelschiffahrt dürfte diese Erscheinung von Interesse sein, da aus derselben hervorgeht, dass durch undichte Segel die lebendige Kraft eines starken Windes schlechter ausgenutzt wird, wie die einer leichten Brise. Während die Herstellung leichter ebener Platten keine Schwierigkeiten bot, waren bei gewölbten Flächen Beschränkungen auferlegt. Nur 0,2 mm dicke Aluminiumbleche, die auf gusseisernen Kugeln gedrückt wurden, vereinigten die beiden Bedingungen der Leichtigkeit und grossen Steifigkeit. Dass bei Kugelflächen der auf die Einheit der Grundfläche und auf die Einheit der Geschwindigkeit reduzierte Luftwiderstand mit zunehmender Krümmung wächst bezw. abnimmt, je nachdem die konkave oder konvexe Seite in Richtung der Bewegung stellt, ist nicht auffallend. Textabbildung Bd. 311, S. 148 Fig. 2. Versuche mit schief gestellten Flächen wurden mit demselben Apparate gemacht, nachdem an dem rotierenden Arme eine neue, drehbare Führung angebracht war. Die Versuche geben den Luftwiderstand W in der zur Fläche senkrechten Richtung; die horizontale Komponente desselben findet man durch Multiplikation von W mit dem Sinus des Neigungswinkels a, während der Auftrieb sich als W cos α ergibt. Die erhaltenen Werte des Gesamtwiderstandes, der Horizontalkomponente H desselben und des Auftriebes v sind in Fig. 2 als Ordinaten aufgetragen. Die punktierte Linie ergab sich durch Anwendung der Formel W=\frac{\pi\,sin\,\alpha}{4+\pi\,sin\,\alpha}\,.\,\rho\,v^2, die Lord Rayleigh aus den Prinzipien der Hydrodynamik entwickelt hat. In der Formel bedeutet ρ die Dichte des Mediums, v die Stromgeschwindigkeit und α den Winkel zwischen Stromrichtung und Platte. Die durch die Versuche gefundene Kurve stimmt mit der Lord Rayleigh'schen besser überein wie mit der aus der Newton'schen Sinusquadratformel W = K . F . v . sin2 α. Von praktischer Bedeutung ist sowohl das Maximum des Auftriebes für eine gegebene Fläche, das bei 42° liegt, als auch das Verhältnis der Ordinaten der beiden Kurven V und H, die dem Auftrieb und der Horizontalkomponente entsprechen. Will man mit dem geringsten Kraftaufwand die grösste Hebekraft erzielen, so muss man der Fläche eine Neigung von 4° geben, da hier das Verhältnis der V- zur H-Ordinate den grössten Wert hat. Man muss aber berücksichtigen, dass man, um gleiche Hebekraft zu erhalten, bei 4° Neigung eine 18mal grössere Fläche benötigt wie bei 42° Neigung, und wird also durch die Vermehrung des Flächengewichtes der Vorteil des geringeren Kraftaufwandes teilweise aufgehoben. Die Frage der günstigsten Flächenneigung muss man daher in jedem speziellen Fall unter Berücksichtigung des spezifischen Flächengewichtes berechnen. Die Mannesmann'schen Versuche mit langgestreckten Rechtecken bestätigen die Langley'schen Beobachtungen, dass der Luftwiderstand grösser ist, wenn die längere Kante senkrecht zur Bewegung steht. Langley, Dines und Lilienthal haben bei ihren Untersuchungen gefunden, dass die ebene Fläche in Bezug auf die Hebewirkung nicht die günstigste ist. Die Mannesmann'schen Versuche mit sechs verschiedenen Kugelflächen ergaben, dass bis herunter zum Neigungswinkel von 25° eine Fläche den grössten Auftrieb hat, bei der das Verhältnis der Wölbtiefe zum Durchmesser 1 : 7,5 ist, während bei kleineren Winkeln eine schwächere Krümmung eine grössere Hebewirkung hervorruft. Standen die bewegten Flächen senkrecht zur Bewegungsrichtung, so hatte eine rauhe Oberfläche, die mit grobkörnigem, aufgeklebtem Sand hergestellt wurde, keinen merklichen Einfluss auf die Grösse des Luftwiderstandes. Auch bei schräg gestellten Flächen spielte die Oberflächenbeschaffenheit nur dann eine Rolle, wenn der Neigungswinkel sehr klein wurde. In diesem Fall trat bei rauhen Flächen wohl deshalb eine Vermehrung des Widerstandes ein, weil durch die Erhöhungen auf der Fläche entferntere Luftschichten mit fortgerissen wurden, die bei glatten Flächen an der Bewegung nicht mehr teilnahmen. Dr. Russner. Neue technische Kalender. Kalender für das Baugewerbe 1899 mit Beilage „Erste Hilfeleistung bei Unglücks- und plötzlichen Erkrankungsfällen“. Berlin. Verlag von J. Harrwitz Nachfolget Brieftaschenform. Preis 1,20 M.