Titel: Kleinere Mitteilungen.
Fundstelle: Band 315, Jahrgang 1900, Miszellen, S. 100
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Kleinere Mitteilungen. Kleinere Mitteilungen. Elektrischer Betrieb auf der Berliner Stadt- und Ringbahn. In der am 23. Januar d. Js. abgehaltenen Versammlung des Vereins deutscher Maschineningenieure sprach Eisenbahnbauinspektor Koss über den Entwurf für Einführung des elektrischen Betriebes auf der Berliner Stadt- und Ringbahn. Die Verkehrsverhältnisse der Berliner Stadtbahn haben sich infolge des stetig wachsenden Verkehrs derartig gestaltet, dass eine thunlichst baldige durchgreifende Aenderung derselben erforderlich erscheint. In den Jahren 1884 bis 1897 hat sich der Verkehr der Stadtbahn jährlich durchschnittlich um mehr als 13 % erhöht, d. i. von 10½ Millionen beförderter Personen auf 56½ Millionen. Im Jahre 1897 war der Verkehr um etwa 105 % grösser als 7 Jahre vorher! Das Projekt der Union-Elektrizitäts-Gesellschaft zur Einführung des elektrischen Betriebes auf der Berliner Stadt- und Ringbahn lehnt sich an dasjenige System an, welches bereits in Amerika seit 1897 auf der South Side Elevated Railroad in Chicago mit durchaus befriedigendem Erfolge in Anwendung sich befindet. Für den ersten Ausbau ist als grundlegendes Prinzip festgestellt, dass keine Aenderungen an vorhandenen Baulichkeiten erforderlich werden sollen. Die elektrischen Züge sollen je aus 8 Wagen zusammengesetzt sein, die je mit 2 Elektromotoren von zusammen 350 PS ausgerüstet sind, so dass jeder Zug über eine Gesamtleistung von 2800 PS verfügt, wogegen die jetzigen Stadtbahnlokomotiven nur etwa 400 PS leisten. Jeder der 8 Wagen hat ein um 80 % grösseres Fassungsvermögen als die jetzigen Wagen. Die elektrische Energie für die gesamte Bahnanlage soll in zwei grossen Kraftstationen: eine in Charlottenburg, die andere in Stralau-Rummelsburg, in Form von Gleichstrom im Dreileitersystem bei 600 Volt Spannung auf jeder Seite erzeugt werden. Der elektrische Strom soll den Motorwagen durch eine einzelne, neben jedem Geleise angebrachte Leitungsschiene mittels Gleitschuhen zugeführt werden. Bei jeder Bahnstation gelangt eine Akkumulatorenbatterie, welche an die Kontaktschiene angeschlossen wird, zur Aufstellung. Die Kontaktschiene ist durch ein Holzgehäuse gegen unbefugte Berührung abgeschlossen. Ausserdem ist aber die Spannung in dieser Schiene so gering, dass bei Berührung der Schiene durch einen Unberufenen dieser nur erschreckt, jedoch nicht getötet wird. Der Kostenanschlag (Grunderwerb, Baulichkeiten, maschinelle Ausrüstung der Kraftstationen, Leitungsanlage, Akkumulatoren, Motorwagen, insgemein) beläuft sich auf 43000000 M. Zum Schlusse fasste der Vortragende die Vorzüge des elektrischen Betriebes wie folgt zusammen: 1. Der elektrische Betrieb befreit die Bahnhöfe, die Bewohner längs der Stadtbahn und die Fahrgäste selber von den unliebsamen Belästigungen durch Dampf und Rauch und Verschmutzung, sowie auch von dem übergrossen Geräusch. Er gewährt den Fahrgästen ein freundlicheres Dasein in sauberen, hellbeleuchteten und geräumigeren Wagen; 2. er gewährt die grössere Schnelligkeit der Fahrt; 3. er gibt uns auf lange Jahre hinaus die Gewähr, die Leistungsfähigkeit dem Verkehrsbedürfnisse anpassen zu können; 4. endlich, und das ist vielleicht das Zwingendste, der elektrische Betrieb stellt sich ungleich wirtschaftlicher. Deutschlands Stellung auf dem Weltmarkt am Ausgang des 19. Jahrhunderts. Nach Angaben des Direktors der Zentralstelle für Vorbereitung von Handelsverträgen, Dr. Vossberg-Rekow in Berlin,hat die deutsche Ausfuhr seit dem Jahre 1872 ungefähr um 1½ Milliarde zugenommen, während diejenige Frankreichs um etwa ½ Milliarde abgenommen hat. Im Jahre 1894 führte allein Preussen nach Holland für 268 Millionen Franken, Frankreich dagegen nur für 21,5 Millionen aus. Für Norwegen zeigt das gleiche Verhältnis für dasselbe Jahr sich in 56 Millionen gegen 3 Millionen. Frankreich, das im Jahre 1887 nach Italien noch eine Einfuhr von 326 Millionen sandte, schickte 1894 nur noch 134 Millionen. Ein Rückgang um 61 % in 7 Jahren! Die Klein- und Mittelstaaten kommen kaum in Betracht, Russland ist noch zu unentwickelt; uns bleiben als Konkurrenten England und die Vereinigten Staaten von Amerika. Untersuchen wir, wie es hier mit Vor- und Rückschritten aussieht, so zeigt sich folgendes: Früher war London der Weltmarkt für Rohdrogen; „englischer“ Kampfer z.B. war der erste der Welt. Seit 5 Jahren ist Hamburg an diese Stelle getreten. England führte 1892 noch für 90000 Pfd. Sterling (1800000 M.) Chinin aus, 1895 nur noch für 40553 Pfd. – Die Ausfuhr englischer Baumwollartikel ging von 37 Millionen Pfd. 1881 auf 27 Millionen Pfd. 1897 zurück. Strumpfwaren: 1882: 621961 Pfd. 1895: 219381 Pfd. Die Gesamtausfuhr britischer Erzeugnisse aus dem Vereinigten Königreiche belief sich 1872 auf 256 Millionen Pfd., 1895 auf 226 Millionen Pfd., während zur selben Zeit die Bevölkerung von 31 Millionen auf 39 Millionen wuchs. England war „the worlds Ironmaster“. Aber die englische Eisenproduktion, die 1884 noch 7,5 Millionen t betrug, war in den 10 Jahren bis 1894 auf 7,3 Millionen zurückgegangen, während die deutsche sich in der gleichen Periode von 3,4 Millionen auf 5,3 Millionen gehoben hatte. Der Anteil Englands am indischen Handel nimmt ab. Er wächst für Deutschland. Indiens Bevölkerung nahm im letzten Jahrzehnt um 30 Millionen zu; aber die Einfuhr von Manchesterwaren nach Indien erfuhr keine Steigerung! Die deutsche Ausfuhr an Baumwollwaren stieg in den Jahren 1883 bis 1893 von 14,6 Millionen kg auf 33,3 Millionen, d.h. um 127 % während im gleichen Zeitraum diejenige Englands nur um 2½ % fortschritt. Englands Einfuhr nach Russland sank von 161402 t im Jahre 1893 auf 138318 t im Jahre 1894. Englische Wolllitzen, Anilinfarbe, sogen. spanische Stripes und Tuche, Lampen, Papier, Schirme, Seifen, Bisquits, Messer und Bier sind verdrängt durch deutsche in Japan. Deutschland führte jüngst in Wladiwostok 80000 t mehr ein als Russland. Es wurde in Südamerika längst die tonangebende Handelsmacht. Seine Einfuhr stieg nach dem Kap, Aegypten, dem Burenland, Brasilien, Argentinien, Chile, Japan, China, neuerdings auch wieder nach den Vereinigten Staaten. Fast auf allen Gebieten lässt sich unser Fortschritt und Englands wirtschaftlicher Rückgang mit Zahlen belegen. Die Reichtumsquellen Englands fliessen indessen trotz allen Rückgangs noch immer in riesigem Umfange. Die englische Staatsschuld betrug 1856 noch 820 Millionen Pfd. Sterling, gleich 29 Pfd. Sterling per Kopf der Bevölkerung; 1895 nur noch 660 Millionen, gleich 17 Pfd. Sterling per Kopf, am 31. März 1896 nur noch 582 Millionen. Noch deckt die englische Herrschaft ⅛ der Erde, ¼ der Menschen. -h.