| Titel: | Ueber ein Beispiel von rascher Verbreitung specifisch leichterer Gasschichten in darunter liegenden specifisch schwereren; von Dr. Max v. Pettenkofer. | 
| Fundstelle: | Band 208, Jahrgang 1873, Nr. XXV., S. 71 | 
| Download: | XML | 
                     
                        
                        XXV.
                        Ueber ein Beispiel von rascher Verbreitung specifisch leichterer Gasschichten in darunter liegenden
                           specifisch schwereren; von Dr. Max v. Pettenkofer.
                        Pettenkofer, über die große Geschwindigkeit der Diffusion der Gase.
                        
                     
                        
                           In den weitesten Kreisen ist noch immer die Vorstellung verbreitet, als könnte in einem geschlossenen windstillen Raume eine
                              Schicht
                              Kohlensäure auf dem Boden und atmosphärische Luft darüber lange lagern, ohne daß sich die Gase mischten. Dieser Annahme liegt
                              wesentlich die Thatsache zu Grunde, daß sich in dieser Weise Schichten von tropfbar flüssigen Körpern von
                              verschiedenen: spec. Gewicht verhalten, welche lange übereinander gelagert bleiben, wenn man sie ruhig läßt und nicht durch
                              mechanische Bewegung durcheinander mischt. Aber dieser Annahme stehen die Erfahrungen entgegen, welche Graham und Andere beim Studium der Diffusion und der Diffusionsgeschwindigkeiten der Gase gemacht haben.
                           Wie oft hört man nicht heutzutage noch, wenn man von Ventilation der Wohnungsräume spricht, die schlechteste Luft im Zimmer
                              sey die am
                              Boden befindliche, weil die ausgeathmete specifisch schwerere Kohlensäure sich nach unten senke. Wenn man Jemanden der diese
                              Vorstellung hat, darauf aufmerksam macht, daß in Wirklichkeit es nicht so sey, daß alle Kohlensäurebestimmungen in bewohnten
                              Räumen
                              nicht nur einen sehr gleichmäßigen Gehalt in allen Schichten vom Boden bis zur Decke ergeben, sondern daß sogar an der Decke
                              in der
                              Regel eine Spur mehr als am Boden gefunden werde, so glauben sie das nicht, berufen sich auf angebliche Erfahrung in Gährkellern,
                              und
                              namentlich auf die sogenannte Hundsgrotte bei Neapel, in der stets ein Schwaden der auf dem Boden ausströmenden Kohlensäure
                              liege, und
                              zwar nur bis zur Höhe von der Größe kleiner Hunde, welche beim Eintritt in diese Höhle ersticken, während größere Thiere und
                              namentlich aufrecht gehende oder stehende Menschen gar keine Belästigung in dieser Höhle empfänden.
                           Wer diese Vorstellung von der schwierigen und langsamen Mischung der Kohlensäure mit atmosphärischer Luft hat, muß natürlich
                              annehmen
                              daß die unterste Kohlensäureschicht beständig nach Außen oder nach tiefer gelegenen Höhlenräumen hin abfließe. Zu diesem Glauben
                              hält
                              man sich um so mehr berechtigt, als man ja in den Vorlesungen über Experimentalchemie zeigt, daß man Kohlensäure aus einen:
                              Cylinderglase in ein anderes gießen kann, so daß ein zuvor in diesem angezündetes Kerzenlicht erlischt. Um ein Kerzenlicht auszulöschen, dazu gehört allerdings kein sehr großer Gehalt der Luft an
                              Kohlensäure; ein Kerzenlicht erlischt schon in einer Luft, die nur 4 Procent Kohlensäure enthält; es ist also sehr wohl denkbar,
                              daß
                              in der kurzen Zeit, binnen welcher man aus einem Glase reine Kohlensäure in ein anderes Glas voll atmosphärischer Luft übergießt,
                              sich
                              diese Kohlensäure mit dem 24fachen Volumen atmosphärischer Luft schon gemischt oder verdünnt hat, so daß das Gemisch, welches
                              man für
                              reine übergegossene Kohlensäure zu halten und auszugeben pflegt, möglicherweise nur mehr aus 4 Procent Kohlensäure und 96
                              Procent
                              atmosphärischer Luft besteht.
                           Schon lange hätte ich gern eine Gelegenheit gehabt, einen Fall zu untersuchen, wo auf einer geschlossenen, allseitig begrenzten
                              Fläche
                              beständig Kohlensäure in ruhig darüber stehende atmosphärische Luft ausströmt, um die Schnelligkeit ihrer Abnahme von unten
                              nach oben,
                              oder was das Nämliche ist, die Schnelligkeit des Hinabsteigens der atmosphärischen Luft in die Kohlensäureschicht durch die
                              Kraft der
                              Diffusion bemessen zu können, da diese Verhältnisse bei manchen Fragen der Ventilation der Wohnungsräume von Bedeutung sind.
                           Diese Gelegenheit fand ich nun in Marienbad an der Marienquelle. Diese Quelle, seitlich vom alten Badhause gelegen, ist mit
                              einem
                              leichten Breterhause überbaut. Sie ist in einem Rechtecke 23,7 Meter lang und 11,4 Meter breit gefaßt, und das Wasser steht
                              darin
                              durchschnittlich 2 Meter hoch. 110 Centimeter über dem Wasserspiegel liegt auf einer langen und einer schmalen Seite ein Breterboden
                              mit Geländer, ein Podium, von dem aus man in die Wasserfläche hinabsieht, welche durch stellenweise in größeren und kleineren
                              Blasen
                              aufsteigende Gase in unaufhörlicher Bewegung erhalten wird, so daß man das vollkommene Bild einer großen siedenden Wasserfläche
                              hat.
                              Ich kann allerdings keine genaue Maaßangabe darüber machen, wieviel Gas sich auf der ganzen Fläche constant entwickelt, aber
                              es läßt
                              sich eine Schätzung machen, welche sicher unter der Wirklichkeit liegt. Wer je die Marienquelle gesehen hat, wird zugeben,
                              daß sich in
                              der Secunde auf ihrer Fläche mindestens 1 Millimeter Gas entwickelt. Das macht in der Minute 6 Centimeter, und in der Stunde
                              360
                              Centimeter.
                           Vorausgesetzt also, daß das aus der Quelle stetig aufsteigende Gas, das bekanntlich größtentheils aus Kohlensäure besteht,
                              sich mit der
                              darüber stehenden Luft im Breterhause nicht merklich mischt, so müßte schon im Zeitraum von einer Stunde die Luft bis zu mehr
                              als 300
                              Centimeter über dem Wasserspiegel aus Quellengas bestehen und deßhalb ganz unathembar seyn. Wer das Breterhaus betritt, steht
                              auf dem
                              Podium mit seinem Kopfe nur etwa 250 bis 260 Centimeter über dem
                              Wasserspiegel, und müßte nach gewöhnlicher Vorstellung in einer vollkommen irrespirablen Luftschicht sich befinden. Es empfindet
                              aber
                              Jeder, der bei geschlossenen Fenstern und Thüren auf diesem Podium über der Marienquelle steht, nicht die geringste Beschwerde,
                              selbst
                              wenn er stundenlang sich dieser Atmosphäre aussetzt; man lebt darin, wie in gewöhnlicher Luft. Erst unterhalb dem Podium,
                              näher dem
                              Wasserspiegel, erlöschen hineingehaltene Kerzenlichter, und mit dem menschlichen Athem geblasene Seifenblasen, die man vom
                              Podium aus
                              hinabfallen läßt, fangen erst in der unmittelbaren Nähe der scheinbar siedenden Wasserfläche an, nicht weiter zu sinken, sondern
                              ruhig
                              in dieser Luftschicht zu schwimmen.
                           Das Alles reizte mich in hohem Grade, die Abnahme der Kohlensäure vom Spiegel der Quelle anfangend aufwärts zu bestimmen.
                              Ich
                              erkundigte mich bei Hrn. Apotheker Brem, was er etwa von Apparaten zur Hand hätte, um
                              Kohlensäure-Bestimmungen zu machen. Er war so freundlich, mir einen 50 Kubikcentimeter haltenden und in 1/2 Kubikcentimeter
                              getheilten Meßcylinder und Stücke voll geschmolzenem Aetzkali zur Verfügung zu stellen. Er und Dr. Dietl waren so freundlich, am Vormittag des 23. August 1872 mir mehrere Stunden zu opfern und mich bei den
                              Versuchen auf's Beste zu unterstützen. Die Methode, welche ich zur Bestimmung der Kohlensäure anwendete, war wesentlich folgende:
                              Der
                              Meßcylinder wurde mit dem Wasser der Quelle gefüllt, an einer Schnur befestigt, in ein Glas mit demselben Wasser gefüllt gestellt,
                              und
                              dieses an einer Stange befestigt in verschiedene Tiefen hinabgelassen und der Meßcylinder an der Schnur dann aus dem Glase
                              gehoben.
                              Nachdem das ausfließende Wasser durch Luft der entsprechenden Luftschicht ersetzt war, wurde der Cylinder wieder in's Glas
                              gesetzt und
                              dieses an der Stange heraufgenommen, um dann in einer improvisirten pneumatischen Wanne mit Aetzkali zur Absorption der Kohlensäure
                              geschüttelt zu werden. Ehe das absorbirte Volumen abgelesen wurde, wurde der Cylinder u.s.w. wieder einige Zeit an den nämlichen
                              Platz
                              gehalten, wo er mit Luft gefüllt worden war, um die Fehler thunlichst zu beschränken, welche aus Temperaturveränderungen während
                              der
                              Ablesungen hervorgehen.
                           Ich bin weit entfernt, diese improvisirte Methode für sehr genau zu halten, aber es wird sich gleich zeigen, daß sie zur Beantwortung
                              der vorläufig gestellten Frage gewiß noch hinreichend genau war.
                           1) Zuerst wurde das Gas, wie es sich in der Marienquelle entwickelt, noch unter dem Wasserspiegel aufgefangen. Dieses Gas
                              verlor durch
                              Behandlung mit Aetzkali 70 Procent seines Volumens. Man kann also sagen,
                              das Gas, welches sich aus der Manenquelle entwickelt, enthält 70 Procent Kohlensäure.
                           2) Die zweite Füllung des Meßcylinders mit Gas erfolgte ganz nahe dem Wasserspiegel, nur 5 Centimeter darüber. Der Kohlensäuregehalt
                              war da schon auf 31 Procent gesunken.
                           3) Nun wurde die Luftschicht 25 Centimeter über dem Wasserspiegel untersucht, sie zeigte da 23 Procent Kohlensäure.
                           4) Darauf wurde die Luftschicht nahe unter dem Podium auf dem man mit den Füßen steht, etwa 100 Centimeter über dem Wasserspiegel
                              untersucht, und ihr Kohlensäuregehalt hier nur zu 2 Procent gefunden.
                           5) In Manns- und Kopfhöhe, 145 Centimeter über dem Podium war die Volumensverringerung der Luft durch Schütteln mit Aetzkali
                              so
                              unbedeutend, daß die Meßmethode, deren ich mich bedienen konnte, kaum mehr etwas erkennen ließ. Der Kohlensäuregehalt dieser
                              Luft hat
                              jedenfalls 1/2 Procent nicht überschritten.
                           Diese Ergebnisse warm mir in hohem Grade überraschend und lehrreich: sie zeigen die unseren bisherigen Vorstellungen gegenüber
                              rasende
                              Geschwindigkeit der Diffusion, der gegenseitigen Durchdringung zweier Gasschichten von verschiedener Zusammensetzung. Man
                              sieht nicht
                              sowohl, wie sich die Kohlensäure in der über der Marienquelle befindlichen, in einem leichtgezimmerten Breterhause eingeschlossenen
                              atmosphärischen Luft verbreitet, als vielmehr, wie diese atmosphärische Luft beständig in die von der Quelle ununterbrochen
                              ausgehauchte Kohlensäure von oben hinab dringt, so daß nur 5 Centimeter über dem Quellenspiegel sich den Quellgasen schon
                              mehr als 2
                              Volume atmosphärischer Luft von oben beimischen, dem spec. Gewichte der Gase entgegengesetzt. Manche Beobachtung über den
                              Kohlensäuregehalt bewohnter Räume wird dadurch eine richtigere Erklärung finden als bisher. (Buchner's neues Repertorium für Pharmacie, Bd. XXII S. 111.)