| Titel: | Das Kuliren und die Kulirgeschwindigkeiten verschiedener Wirkmaschinen; von Gustav Willkomm, Director der Strumpfwilkerschule in Limbach bei Chemnitz. | 
| Fundstelle: | Band 208, Jahrgang 1873, Nr. XXXI., S. 108 | 
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                        XXXI.
                        Fehler in der Artikelnummerierung: Die Druckvorlage zählt hier fälschlich einen zweiten Artikel mit Nummer 31.
                        Das Kuliren und die Kulirgeschwindigkeiten verschiedener Wirkmaschinen; von Gustav Willkomm, Director der Strumpfwilkerschule in Limbach
                           bei Chemnitz.
                        (Schluß von S. 13 des vorhergehenden Heftes.)
                        Willkomm, über das Kuliren und die Kulirgeschwindigkeiten verschiedener Wirkmaschinen.
                        
                     
                        
                           So werthvoll es ist, das Kuliren nur mit den vollkommensten Hülfsmitteln vorzunehmen, ebenso wichtig ist es auch, die vortheilhafteste
                              Zeitdauer des Kulirens oder die passende Geschwindigkeit mit welcher die Kulirapparate sich bewegen, für jeden einzelnen Fall
                              zu
                              ermitteln. Am Handstuhl ist dieß mit den gewöhnlichen Mitteln der Beobachtung nicht zu erreichen, da man nicht wohl feststellen
                              kann,
                              welchen Theil die Zeit des Kulirens von der Zeitdauer einer Reihenbildung überhaupt ausmacht. Sehr genau ist aber die
                              Kulirgeschwindigkeit am flachen mechanischen Stuhl zu beobachten und kann dann von diesem auf den Handstuhl von gleicher Stärke
                              und
                              gleicher Art der Arbeit übertragen werden, denn es widerspricht Nichts der Annahme, daß man an beiden Arten der Stühle gern
                              die größte
                              Kulirgeschwindigkeit erreichen wird, daß dieselbe aber für verschieden feine Stühle und verschiedene Qualitäten des Garnes
                              ihre Grenze
                              in verschiedener Höhe erreichen wird.
                           Die flachen mechanischen Stühle erhalten in der Regel eine Hauptwelle, von welcher alle Bewegungen
                              abgeleitet werden; es ist ferner die Einrichtung zumeist so getroffen, daß je einer Umdrehung dieser Welle die Bildung einer
                              Maschenreihe entspricht, und da endlich die Bewegungsübertragung immer
                              durch auf der Hauptwelle sitzende Excenter oder Hubscheiben erfolgt, so kann man leicht abmessen, den wie vielten Theil einer
                              Umdrehung die Wirkung des Kulirens dauert. Nehmen wir z.B. an, daß man an einem sogen, regulären Strumpfstuhl nach Paget's (Wex's) Patent 40 Reihen in der Minute, also 40 Umdrehungen der
                              Hauptwelle beobachtet habe, so ist die Dauer einer solchen Umdrehung 1 1/2 Secunde. Man wird nun weiter an dem Stuhle finden,
                              daß das
                              Kulirrad auf der Treibwelle, welches durch Schnuren das Rößchen zieht, das letztere auf je 2/3 Umdrehung einmal zur Seite,
                              nach rechts
                              oder links, bewegt, und kann dieß dadurch ermitteln, daß man entweder den Winkel der Umdrehungsgröße, auf welche das Rad die
                              Schnur
                              festhält und fortzieht, mißt und mit dem vollen Winkel von 360° vergleicht, oder daß man die directe Länge des Rößchenschubes
                              vergleicht mit dem Umfang des Rades da, wo letzteres die Schnur aufwickelt. Mißt man z.B. für letzteren Fall den Raddurchmesser
                              = 228
                              . 22/7 = 717 Millimet. und beträgt nun der Rößchenweg = 475 Millimet., so ist letzterer = 475/717 = 0,66 = sehr genau 2/3
                              des
                              Radumfanges. Die Zeit des Kulirens einer Reihe beträgt also 2/3 der Zeit einer Umdrehung = 2/3 . 1 1/2 = 1 Secunde. Der Weg
                              ist 475
                              Millimet., also die Geschwindigkeit, das ist der Weg in einer Secunde, hier eben 475 Millimet.
                           In derselben Weise sind aus den in der folgenden Tabelle zusammengestellten Beobachtungen die beistehenden Resultate der
                              Kulirgeschwindigkeiten berechnet worden. Die Stuhlnummern sind als Anzahl Nadeltheilungen auf 1 Zoll sächs. und auch als solche
                              auf
                              100 Millimet. Länge angegeben:
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 208, S. 109
                              Art des Stuhles; Stuhl Nr.; Anzahl Reihen pro Minute; Die Kulirzeit beträgt von der
                                 Zeit einer Reihe; Rößchenweg; Kulirgeschwindigkeit; Syst. Luke Barton, glatt; Millm.; Mos. Mellor; Paget; Brauer und Ludwig;
                                 Esche; Mossig; Cotton
                              
                           
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 208, S. 110
                              Art des Stuhles; Stuhl Nr.; Anzahl Reihen pro Minute; Die Kulirzeit beträgt von der
                                 Zeit einer Reihe; Rößchenweg; Kulirgeschwindigkeit; Syst. Cotton, glatt; Millm.; Woller's Ränderstuhl; Englischer
                              
                           In allen flachen Wirtstühlen, welche einige Verbreitung erlangt haben, mit Ausnahme des Stuhles von Berthelot, ist nun die Kulirgeschwindigkeit nicht zugleich die Arbeitsgeschwindigkeit, da die einzelnen zur Herstellung
                              einer Maschinenreihe nöthigen Arbeiten nicht gleichzeitig und stetig fortlaufend, sondern abwechselnd und in bestimmter Reihenfolge
                              nach einander vorgenommen werden; die Arbeitsgeschwindigkeit ist daher immer kleiner als die Kulirgeschwindigkeit. Nur in
                              Berthelot's Stuhl sind beide scheinbar auf die ganze Ausdehnung der Arbeit, in der That aber nur auf einen
                              kleinen Theil derselben einander gleich; denn in dem Stuhle werden die einzelnen Maschen einer Reihe auch einzeln neben einander
                              hergestellt, es wird also von einzelnen Apparaten auf der festliegenden Nadelreihe fortlaufend stetig kulirt, gepreßt, abgeschlagen
                              und eingeschlossen – aber am Ende der Reihe müssen diese Apparate natürlich umkehren und damit so lange warten, bis die letzte
                              Masche der Reihe in der ersten Richtung fertig ist. Die Maschenbildung geschieht also hier nur so lange gleichzeitig mit dem
                              Kuliren,
                              als die Breite der Apparate noch auf die Nadelreihe sich erstreckt, und geschieht später allein, wenn Fadenführer und Rößchenschiene
                              schon längst aus der Nadelreihe hinausgeführt sind und nun auf die weiteren Arbeiten, als Pressen, Abschlagen und Einschließen,
                              warten
                              müssen. Dieser Uebelstand setzt aber die vermeintlich größere Arbeitsgeschwindigkeit bedeutend herab.
                           Die Production eines mechanischen Stuhles für reguläre Waaren wird in der Regel durch die Anzahl Waarenstücke angegeben, welche
                              derselbe in längerer Arbeitszeit (Tag oder Woche) liefert; werden dabei Feinheit und Größe der Waaren mit berücksichtigt,
                              so ist diese
                              Angabe für die Fabrication deßhalb ganz passend und richtig, weil bei ihrer Beobachtung auch etwaige Zeitverluste während
                              längerer
                              Arbeitsdauer mit in Bettacht gezogen werden. Die Arbeitsgeschwindigkeit, welche angibt, wie die Maschen- oder Reihenbildung
                              in
                              stetiger Folge vor sich geht, ist aber hierin nicht enthalten; sie kann zunächst angedeutet werden durch Angabe der Anzahl Reihen pro Minute, in obigem
                              Beispiel vom Paget-Stuhl also 40, daraus folgt dann als Reihenzahl pro
                              Secunde = 2/3; die Productionsgeschwindigkeit des obigen Stuhles könnte man also = 2/3 Maschenreihe pro
                              Secunde setzen. Die Länge einer Maschenreihe kann aber aus Rücksicht auf den Bau des Stuhles nie gleich der Länge des Rößchenweges,
                              sondern muß immer kleiner als letztere seyn, da Roß und Fadenführer auf jeder Seite der Nadelreihe ihre Stellung gegen einander
                              zu
                              vertauschen haben, um für das Kuliren der nächsten Reihe den Fadenführer immer vor dem Rößchen herzuführen. An obigem Stuhl
                              von 475
                              Millimet. Länge des Rößchenweges beträgt die größte Länge einer Maschenreihe 350 Millimet.; will man also die Arbeitsgeschwindigkeit,
                              um sie direct mit der Kulirgeschwindigkeit vergleichen zu können, als Länge einer Maschenreihe oder eines Theiles derselben
                              ausdrücken, so würde sie in obigem Beispiel = 350 . 2/3 = 235 Millimet. betragen. Der große, an flachen Stühlen vorkommende
                              Unterschied zwischen Kulirgeschwindigkeit (475 Millimet.) und Arbeitsgeschwindigkeit im letzteren Sinn (235 Millimet.) ist
                              wesentlich
                              dadurch begründet, daß die einzelnen Operationen nicht gleichzeitig, sondern nach einander erfolgen und daß der Weg des Kulirapparates
                              immer länger ist als eine Maschenreihe.
                           Die runden Wirkstühle oder Rundstühle unterscheiden sich von den flachen Stühlen in Bezug auf
                              Geschwindigkeitsverhältnisse wesentlich dadurch, daß ihre Maschenbildung continuirlich, stetig fortlaufend, erfolgt. In der
                              Regel
                              dreht sich der Nadelkranz um seine Achse gleichmäßig um und alle Nadeln werden der Reihe nach an den zur Maschenbildung nöthigen
                              Maschinentheilen, welche feststehen, vorbeigeführt, so daß also auf dem Nadelkranze an einer Stelle kulirt, an der nächsten
                              gepreßt,
                              und weiterhin abgeschlagen wird, worauf sofort das Kuliren einer neuen Reihe erfolgen kann. Die Maschen einer Reihe werden
                              hierbei
                              allerdings einzeln neben einander hergestellt, aber die hierfür nöthigen Arbeiten dauern ununterbrochen fort und liefern eine,
                              in Form
                              einer Schraubenlinie fortlaufende Reihe. In allen Rundstühlen ist also die Kulirgeschwindigkeit auch zugleich die
                              Arbeitsgeschwindigkeit und sie ist gleich der Umfangsgeschwindigkeit des Nadelkranzes. Das Kuliren darf nun eine Grenze der
                              Geschwindigkeit nicht überschreiten, wenn es sorgfältig ausgeführt werden soll; es kann auch in Rundstühlen nicht schneller
                              als in
                              flachen Stühlen erfolgen, denn es geschieht in beiden Fällen durch fast genau dieselben Mittel: Platinen werden in die Nadellücken
                              eingesenkt und drücken den Faden zu Schleifen mit ein. Für einen in Gang befindlichen Rundstuhl kann man nun die
                              Umfangsgeschwindigkeit nicht in folgender Weise durch Beobachtung und
                              Rechnung finden: ein solcher Stuhl habe z.B. 12 Umdrehungen in der Minute und einen Durchmesser im Nadelkranze von 600 Millimet.;
                              so
                              ist seine Umfangsgeschwindigkeit
                           (600 . 22 . 12)/(7 . 60) = 377 Millimet.
                           in der Secunde und das ist dann zugleich seine Kulir- und seine Arbeitsgeschwindigkeit. Die folgenden
                              Tabellen enthalten solche Beobachtungs- und Rechnungsresultate für verschiedene Rundstühle. Die Stuhlnummern sind als Anzahl
                              Nadeltheilungen auf 1 Zoll sächs. und auch als solche auf 100 Millimet. Länge angegeben.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 208, S. 112
                              Stuhl Nr.; Aeußerer Durchmesser des Nadelkranzes; Umdrehungen pro 1 Minute;
                                 Umfangsgeschwindigkeit; Französischer Rundstuhl glatt; Millm.; für Räder; Fangwaare; Englischer Rundstuhl glatt; mit Zungennadeln,
                                 glatt; für Ränderwaare; Engl. Rundstuhl für reguläre Ränder mit Zungennadeln; Engl. Rundstuhl für Fangwaare
                              
                           Aus den für flache und runde Stühle oben angegebenen zwei Tabellen ist ersichtlich, daß die Stühle für Wirkmusterwaaren, als
                              Fang- und Ränderwaare, Deckmaschinenmuster etc. eine kleinere Kulirgeschwindigkeit haben, als solche für glatte Waaren, und
                              es
                              erklärt sich dieß leicht, wenn man berücksichtigt wie die Maschinen viel tiefer zu kuliren haben als glatte Stühle, wie also
                              die
                              Fortschreitung des Kulirapparates erheblich langsamer erfolgen muß, da er jede Platine auf größere Tiefe zwischen die Nadeln
                              einzudrücken hat.
                           Weiter wird in den Angaben der Tabellen der oben entwickelten und genügend begründeten Annahme widersprochen, daß auch Rundstühle
                              nicht
                              schneller als flache Stühle kuliren sollen, denn die Geschwindigkeiten runder Stühle für glatte Waare sind bisweilen größer beobachtet worden, als die der flachen für ähnliche Waare.
                              Diese Bemerkung wird man aber zumeist machen können und sie ist nicht in der verschiedenen Einrichtung der Stühle, sondern
                              vielmehr in
                              der verschiedenen Beschaffenheit der Waaren begründet, welche man auf flachen und runden Stühlen arbeiten läßt. Flache Kulirstühle
                              verwendet man nicht zur Herstellung ganz geschnittener Waaren, d.h. nicht dazu, große Stoffstücke zu arbeiten, aus denen man
                              die
                              Formen der Gebrauchsgegenstände herausschneidet, sondern ausschließlich als sogen, reguläre Stühle, d.h. solche, welche die
                              Gebrauchsgegenstände gleich in verlangter Form, mit guten festen Rändern zum Nähen herstellen, also zur Lieferung der besten
                              Wirkwaaren. In letzteren will man aber auch die beste Fadenverbindung, die gleichmäßigste Maschenlänge haben, – daher müssen
                              flache Stühle so vorsichtig und langsam kuliren, daß die Entstehung der Schleifen in aller Regelmäßigkeit erfolgt. Rundstühle
                              dagegen
                              werden nur zum Wirken geschnittener Waaren benutzt, welche wegen ihrer Zusammensetzung und der unvermeidlich dickeren und
                              wulstigen
                              Nähte nicht so geschätzt und nicht so werthvoll sind, als reguläre Waaren, welche also auch nicht die regelmäßigste Maschenlage
                              zu
                              enthalten brauchen. Rundstühle können daher im Allgemeinen etwas schneller kuliren, als flache Stühle; sollen sie aber gleichmäßig
                              vertheilte Maschen und gute Waarenstücke liefern, so müssen sie ebenso vorsichtig arbeiten und langsam kuliren, als die flachen
                              Stühle, – immerhin ist dann ihre Arbeitsgeschwindigkeit größer als die der letzteren, da ihre einzelnen Operationen zur
                              Maschenbildung nicht periodisch wechselnd, sondern gleichzeitig und stetig erfolgen.
                           Will man bei Stühlen mit Zungennadeln auch von einer Kulirgeschwindigkeit sprechen, so kann man damit nur die Geschwindigkeit
                              meinen,
                              mit welcher der Apparat sich bewegt, der die Nadeln in ihrer Längsrichtung verschiebt, damit sie den Faden als Maschen durch
                              die alten
                              Maschen hindurchziehen. Der Apparat welcher dieß verrichtet, ist eine mit nahezu Vförmiger Nuth versehene
                              Platte; dieselbe wird längs der Radelreihe hin geführt, erfaßt in ihrer Nuth die vorstehenden Nasen der Nadelschäfte, zieht
                              sie zurück
                              und schiebt sie in die ursprüngliche Lage wieder vor; oder die Schubplatte liegt fest und die Nadelreihe wird an ihr vorbeigezogen.
                              An
                              Rundstühlen geschieht diese Arbeit continuirlich, an Stühlen mit flachliegenden Nadelreihen, wie sie Lamb's
                              Strickmaschine zeigt, geschieht sie periodisch vor- und rückwärts; in letzteren Maschinen muß die Schubplatte jedesmal um
                              mindestens ihre Breite über die Nadelreihe hinauslaufen, in ihnen ist also
                              deßhalb die Arbeitsgeschwindigkeit kleiner als die des Kulirapparates und kleiner als die der Rundstühle.