Titel: | Wie muß gutes Trinkwasser beschaffen sein? von Professor E. Reichardt in Jena. |
Fundstelle: | Band 208, Jahrgang 1873, Nr. LI., S. 199 |
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LI.
Wie muß gutes Trinkwasser beschaffen sein? von Professor E. Reichardt in Jena.
Aus dem Journal für praktische
Chemie, 1873, Bd. VII S. 27.
Reichardt, über die erforderliche Beschaffenheit eines guten Trinkwassers.
Die Frage, wie ein gutes Trinkwasser beschaffen seyn soll, wird in der Regel als eine combinirt chemische und medicinische,
in Summe
gesundheitspolizeiliche bezeichnet. Mehr als ein Mal sind dem Verfasser derartige Erörterungen vor oder nach der Begutachtung
von
ärztlicher Seite vorgelegt worden, und mehr als ein Mal ergaben sich dabei nicht unerhebliche Meinungsverschiedenheiten. Ob
ein
Trinkwasser rein oder verunreinigt sey, ist aber nur durch chemische Prüfung zu ermitteln, und die Güte des Wassers kann nicht
bloß
nach Geschmack, Geruch und Farbe desselben beurtheilt werden. Es versteht sich von selbst, daß übel riechende und schmeckende
Wässer
von vorn herein zu verwerfen sind; aber gerade die bleibenden Verunreinigungen des Wassers, die gewöhnlichen Vorkommnisse
größerer
Mengen von Salpetersäure, organischer Substanz etc., sind durch diese mechanischen Proben nicht zu kennzeichnen; ja salzhaltige
Wässer
besitzen sogar fast durchgänig einen weit angenehmeren Geschmack.
Ohne Widerspruch gilt der Satz, daß jedes Trinkwasser rein sein muß, frei von ungehörigen Zuflüssen der
benachbarten Umgebung. Die Mittel, die Reinheit des Wassers nachzuweisen, sind erst in neuerer Zeit mit Hülfe der Chemie
erkannt worden, und nun handelt es sich darum, mit möglichster Ausdehnung diese Kenntnisse zu verwerthen – Aufgabe der
Gesundheitspflege. Daß die Mischungsverhältnisse selbst des reinsten
Quellwassers sehr verschieden seyn können hinsichtlich des Gehaltes an Kalk und Talkerde, sogenannter Härte, wurde schon früher
erörtert, und der Gesichtspunkt dahin erweitert, daß die Beurtheilung nach der herrschenden Gebirgsformation und den darin
vorkommenden Quellen gegeben werden kann, abgesehen von den auch hier vorkommenden abnormen Verhältnissen. Wie leicht und
richtig ein
Vergleich fraglicher Wässer mit den normalen reinen Quellen der Umgegend ein Urtheil begründen läßt, beweist das oben mitgetheilte
Beispiel, und dasselbe kann auch den Laien überzeugen, welche günstigere Verhältnisse bei der Beschaffung des reinen Quellwassers
zu
erlangen sind. Die sogen. Grenzzahlen für organische Substanz, Salpetersäure, Chlor, Schwefelsäure bieten hierbei einen sehr
brauchbaren Anhalt, um das allgemeine Vorkommen gegenüber dem localen zu beleuchten.
So wenig die Feststellung der physikalischen Merkmale – Geruch, Geschmack, Farbe – genügen kann, so überflüssig und die
Einsicht erschwerend wäre es, wenn die chemische Untersuchung der Wässer sich auf die Feststellung aller Bestandtheile derselben
richten würde. Es ist vielmehr festzuhalten, daß die Bestimmung nur weniger Bestandtheile genügt, um das Abnorme, die localen
Zuflüsse
zu den Quellen, nachzuweisen. Eine Steigerung der Mengen des Chlors, der Schwefelsäure, der Härte, vor Allem der Salpetersäure
und der
sogenannten organischen Substanz, oft auch schon des Abdampfrückstandes allein, gibt gegenüber der Mischung der reinen Quellen
den
unangreifbaren Beweis, daß Zuflüsse existiren, die unter allen Verhältnissen verwerflich sind. Sehr leicht ist es, selbst
dem Laien zu
beweisen, daß beispielsweise die Vermehrung von Chlor, gegenüber der reinen Quelle, abnorm ist und nur auf verwerflichen Zuflüssen
beruhen kann; unverständlich bleibt es demselben aber meistens, wenn davon die Rede ist, ob das Chlor oder Chlormagnesium,
Chlorkalium
oder Chlorcalcium u.s.w. vorhanden sey. Es ist richtig, daß schwefelsaures Natrium weit kräftiger wirkt, als schwefelsaurer
Kalk; aber
diese Frage hat nichts gemein mit derjenigen nach reinem Trinkwasser; eine ungewöhnliche Steigerung der Schwefelsäure ist
unter allen
Umständen verwerflich.
Besonders wichtig ist die Beurtheilung der durch die chemische Untersuchung erhaltenen Resultate für die Zwecke der Gesundheitspflege.
Es ist jetzt als veraltet zu bezeichnen, wenn der Chemiker der Behörde oder dem Belehrung suchenden Publicum die Zahlen der
Analyse
einfach vorlegt, während kein Theil mit den gebotenen Unterlagen etwas anzufangen weiß. Die Beurtheilung und Benutzung der
analytischen Resultate muß Sachverständigen zugewiesen werden, welche
genau wissen, um welche wichtige Frage der Gesundheitslehre es sich handelt.
Ein Wasser, welches Verunreinigungen enthält, ist niemals als gutes und reines Trinkwasser zu bezeichnen und sicher verwerflich.
Die
Erkenntniß dieser Sachlage fordert auf, reines Wasser zu schaffen, sey es durch reine Quellen oder durch geeignete Abschließung,
bessere Fassung der verunreinigten Quelle; spätere Untersuchungen haben dann die Ergebnisse der Verbesserungsmaßregeln zu
prüfen.
Wissenschaftlich ist es gewiß von großem Interesse, zu erfahren, wie die Verunreinigungen, die Zuflüsse zu Wasser schwanken,
wie die
Pumpbrunnen je nach der Jahreszeit, je nach den Bodenverhältnissen in Mischung und Menge des Wassers wechseln, und man hat
derartige
oft wiederholte Prüfungen zusammengestellt und die Resultate mit dem jetzt so beliebten, oft gemißbrauchten Ausdruck:
„Statistik des Wassers“ belegt; aber diese Betrachtungsweisen berühren zunächst nicht die wichtigste Frage
nach der Beschaffung und Beschaffenheit eines reinen Trinkwassers. Ist das Wasser eines Brunnens unrein, so ist es zu beseitigen,
selbst wenn die Statistik erweist, daß z.B. im Monat Mai einmal reines Wasser in diesem Brunnen nachgewiesen wurde. Die Kenntniß,
was
unter reinem Wasser, reiner Nahrung zu verstehen sey, muß ohne Ausnahme, ohne Nachsicht angewendet werden; Ausnahmen werden
leider nur
zu oft, durch örtliche Verhältnisse bedingt, nöthig werden.
Mit vollem Rechte hat die Wiener Wasserversorgungs-Commission sich dahin ausgesprochen (vergl. die erwähnte Schrift des Verf.
S.
5), daß nur Quellwasser und nicht filtrirtes Flußwasser als Trinkwasser zu gebrauchen sey, weil letzteres zu sehr wechselnden
Ein- und Zuflüssen ausgesetzt ist, und das Filtriren im Ganzen doch nur als mechanische Reinigung wirken kann.
Die chemische Untersuchung des Elbwassers ergab für 100,000 Theile Wasser folgende Resultate (s. Grundl. etc. S. 28):
Abdampf-rückstand:
Organ-Substanz:
Salpeter-säure:
Chlor:
Schwefel-säure:
Kalk:
Talkerde:
Härte:
Elbe bei Magdeburg:
26,0
3,45
0,14
3,83
4,80
5,6
1,6
7,8
bei Hamburg:
27,0
17,45
Spur
2,97
2,40
6,7
0,73
7,7
filtrirt (Hamburger Wasserleitung):
22,5
8,0
–
1,85
2,75
5,04
0,73
6,1
Grenzzahlen für gutes Wasser:
10–50
1–5,0
0,4
0,2–0,8
0,2–6,3
–
–
18.
Die betreffenden Proben Wasser wurden fast zu derselben Zeit in Magdeburg und Hamburg entnommen, nämlich im November 1870,
diejenigen
von Hamburg an gleichen Tagen, und zwar das unfiltrirte Elbwasser oberhalb der Aufnahme des Wassers durch die Wasserkunst.
Erwägt man, welche kalkreichen Bäche und Flüsse, welche salzreichen Zuflüsse aus den Salzdistricten Thüringens und der Provinz
Sachsen
der Elbe zugeführt werden, so sieht man sofort, wie Kalk und Talkerde größtentheils abgeschieden werden, und vorzugsweise
die
schwefelsauren Salze und Chloride in Lösung bleiben; das Elbwasser von Magdeburg enthält davon mehr, als dasjenige von Hamburg.
Welcher Unterschied herrscht aber in der Menge der organischen Substanz! Die Zuflüsse sind eben zu wechselnd und vielseitig,
als daß
man ein derartiges Wasser als Genußwasser verwenden sollte. Was hat nun aber die Reinigung durch das Filtriren geändert? Der
Unterschied liegt hauptsächlich in der durch übermangansaures Kali bestimmten organischen Substanz, und natürlich sind durch
diese
Manipulation die schwebenden organischen, wie anorganischen Stoffe entfernt worden; aber die in dem filtrirten Wasser vorhandene
Menge
organischer Substanz überschreitet noch sehr bedeutend die von Pettenkofer gegebene Grenzzahl 5 pro 100,000 Theile Wasser. Eine sogenannte statistische Untersuchung des Elbwassers wird sicher eben so
bedeutende Aenderungen in der Mischung erweisen, wie anderwärts im Wasser der Pumpbrunnen oder der Flüsse und Bäche. Der oben
erwähnte
Ausspruch der Wiener Commission: „Wasser der Flüsse ist als Trinkwasser überhaupt nicht zu
verwenden,“ ist völlig richtig. Früher oder später werden Städte mit dergleichen Einrichtungen noch mehr
Kapital anwenden müssen, um, nach Art der alten römischen Leitungen, frisches, reines Quellwasser den Einwohnern zu bieten,
d.h. das
wichtigste Nahrungsmittel in möglichster Reinheit zu schaffen.
Erörterungen über Methode der Untersuchung und sonstige Besprechungen chemischen Inhalts haben mit der Aufgabe, reines Genußwasser
zu
schaffen, nichts zu thun und gehören in die chemische Fachliteratur. Ebenso nachtheilig wie solche Erörterungen wird aber
der Sache
die vielfach geübte Kritik seitens des ärztlichen Publicums, welches oft die einfache Frage umgeht und mit persönlichen Anschauungen
belastet. Wie oft ist es Gegenstand von Erörterungen gewesen, ob verunreinigtes Wasser überhaupt schädlich sei, oder nur in
besonderen
Fällen. Der betreffende Arzt hat die Beobachtung gemacht, daß der lieb gewordene Hausbrunnen seit Jahrzehnten unschädlich
gewesen sei,
und tritt nicht selten mit solchen ganz localen und persönlichen Ansichten den Bestrebungen, die allgemeine Lage hinsichtlich der Beschaffung von reinem Wasser zu bessern, entgegen. Leicht erklärlich
ergreifen die nicht so sachverständigen Behörden der Stadt mit Freuden derartige, gänzlich zu verwerfende Zeugnisse, um von
der
scheinbar zu großen Ausgabe noch auf einige Zeit verschont zu bleiben. Das Urtheil darüber, ob ein Trinkwasser rein sey, kann
nie
einer individuellen Meinung untergeordnet werden, sondern ist einzig und allein auf das Ergebniß der chemischen Untersuchung
zu
gründen, welche ihren Stützpunkt in der Zusammensetzung der reinsten Quellen der herrschenden Gebirgsformation zu suchen hat.
(Journal für praktische Chemie, n. F., Bd. 7 S. 26.)