| Titel: | Ueber Athmung und Binnenluft der Zuckerrüben; von Arnold Heintz. | 
| Fundstelle: | Band 208, Jahrgang 1873, Nr. XCIV., S. 382 | 
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                        XCIV.
                        Ueber Athmung und Binnenluft der Zuckerrüben; von Arnold Heintz.
                        Aus den Berichten der deutschen
                                 chemischen Gesellschaft zu Berlin, 1873, Nr. 10.
                        Heintz, über Athmung und Binnenluft der Zuckerrüben.
                        
                     
                        
                           Chlorophyll, das pflanzliche Assimilationsorgan, setzt Sonnenlicht um in chemischen Stoffwechsel: aus Kohlensäure und Wasser
                              werden
                              unter Sauerstoffausscheidung die zum Aufbau des Pflanzenkörpers nöthigen Substanzen innerhalb des von Chlorophyllkörnern grünenden
                              Protoplasma erzeugt, in erster Linie die Kohlehydrate; das Feld der Chlorophyllthätigkeit haben wir vornehmlich in den isolirten Blattoberflächen zu suchen. Berücksichtigt man, daß hierbei die
                              Volumina der aufgezehrten Kohlensäure und des ausgeschiedenen Sauerstoffes nach Boussingault
                              Comptes rendus, 1867, durch bot. Untersuchungen von N. J. C. Müller,
                                    Heidelberg 1872. Bd. I. gleich sind, so möchte man wohl diesen Stoffumsatz so ausdrücken:
                           x CO² + x H²O = x
                              C (x – y) H²O + y H²O + x O².
                           Ist z.B. x = 6 und y = 1, so haben wir Amylum, wenn x = 6 und y = 0, so haben wir Glycose.Siehe auch A. Bayer, Berichte der deutschen chemischen Gesellschaft zu Berlin, Jahrg. III S. 67.
                              
                           Möglicherweise betheiligt sich bei der Assimilation die Chlorophyllsubstanz stofflich selbst in der Art, daß stickstoffhaltige
                              Nebenproducte ausgeschieden werden. Auch dürften die von der Wurzel aus aufgetriebenen Kalisalze bei diesen Vorgängen von
                              wesentlichem
                              Einfluß seyn.
                           Wenn nun auch Stärkebildung als normale Function des Chlorophylls anzusehen ist, so darf dennoch die vom Chlorophyll geleistete
                              Arbeit
                              nicht nach dem in irgend einem Augenblick gerade vorhandenen Amylum bemessen werden. Den Diffusionsgesetzen folgend wandert
                              die Stärke
                              weiter, bald ihre chemische Natur bewahrend, bald übergehend in Cellulose, Zucker, Pflanzenfette etc. „Die in einem
                                 gegebenen Moment vorfindliche Quantität von Stärke ist die Differenz zwischen der erzeugten Quantität und dem aus den
                                 Chlorophyllkörnern unterdessen wieder abgeflossenen, entfernten Theil;“
                              „um die Stärke erzeugende Thätigkeit des Chlorophylls für die Pflanze zu messen, müßte man daher alle diese Substanzen in
                                 Anschlag bringen“
                              Julius Sachs, Handbuch der Experimental-Physiologie der Pflanzen, Leipzig 1865, X. und XI.
                                    Abhandlung., außerdem aber noch den durch die Athmung bedingten fortwährenden Verschleiß assimilirter Stoffe berücksichtigen. Der
                              chemische Eintritt des atmosphärischen Sauerstoffes in die Stoffe der lebenden Pflanzenzelle wird nach Garreau und Sachs ausschließlich Athmung genannt und steht dem Assimilationsproceß – der
                              Kohlensäureaufnahme – diametral gegenüber; mit Recht vergleicht Dutrochet die athmende Pflanze mit
                              kaltblütigen Thieren, mit Insecten, und Sachs den Sauerstoff „mit der Feder eines Uhrwerkes,
                                 deren Spannkraft die Theile in Bewegung setzt.“
                              
                           Bei der wachsenden Pflanze ist die Ausscheidung von Sauerstoff natürlich bei weitem überwiegend; wenn jedoch die Kohlensäureaufnahme
                              unterbrochen wird, tritt die Athmung deutlich in den Vordergrund, sie nimmt O ein und gibt CO² aus, bei normaler Ausgleichung wohl ziemlich gleiche Volumina –
                              abgesehen von Zersetzungen, bei denen Oxydationsproducte ärmer an Sauerstoff als die Kohlensäure entstehen und im Pflanzenkörper
                              verbleiben.
                           Bereits 1779 entdeckte Ingenhouß, daß Wurzeln, Blüthen, Früchte beständig CO² bilden und aushauchen.
                              Die Respiration als langsame Verbrennung läßt sich vortrefflich beobachten an der Zuckerrübenwurzel, wenn in der Ruhezeit
                              vom Herbst
                              zum Frühjahr die Ernährung sistirt ist. Die Zuckerrübe erfüllt als zweijährige Pflanze gewissermaßen die Bestimmung, den während
                              der
                              ersten Vegetationsperiode in den unterirdischen Reservestoffbehältern aufgespeicherten Rohrzucker für das zweite Jahr zu überwintern.
                              Wenn dann im Frühjahr der neue Trieb unter Stärkebildung emporschießt, so ist er gleichsam sein eigner Parasit, bis neue grüne Pflanzentheile die vom Winterschlaf unterbrochene Assimilation wieder aufnehmen.
                           Erwägt man nun, daß der Rohrzucker die Hauptmasse der Trockensubstanz einer Rübenwurzel ausmacht, und daß die Kohlehydrate
                              als das
                              natürliche Heizmaterial für den pflanzlichen Athmungsproceß anzusehen sind, so ist die in den Rübenwurzeln vorfindliche Kohlensäure,
                              wenn nicht insgesammt, so doch zum größten Theil als ein normales Zersetzungsproduct des Zuckers erklärt. Die zum Zwecke der
                              Zuckerfabrication eingemieteten Rüben setzen als lebende Organismen die Athmung in den Mieten beständig fort (es sey denn,
                              daß sie
                              erfrieren oder anderweitig verderben). Diesen Vorgang machte ich zum Gegenstand einiger quantitativen Versuche und benutzte
                              einen
                              ähnlichen Apparat wie Fleury und Sachs.Sachs, Physiologie, S. 271.
                              
                           Eine unten durch Quecksilber gesperrte, oben behufs Ventilation mit doppelt durchbohrtem Kork versehene Glocke enthielt die
                              Versuchsrüben, welche auf einer flachen, die Quecksilberoberfläche deckenden Glasschale ruhten. Der Rübenbehälter stand in
                              einer
                              dunklen Ecke bei durchschnittlich und möglichst gleichmäßig 10° C. der umgebenden Luft. Jeden Tag wurde ca. 10 Stunden lang vollkommen trockene, von CO² befreite Luft durchgesaugt und das von den Rüben abziehende
                              H²O und die CO² in Chlorcalcium- und Kaliapparaten gewogen. Uebrigens verblieb die Hauptmenge des ausgedunsteten
                              Wassers in der Glocke und hielt durch Absorption eine geringe Menge CO² fest, was indeß nicht zu vermeiden war. Von
                              analytischen Belegen beschränke ich mich, nur folgendes Resultat eines durch 30 Tage fortgeführten Versuches anzuführen.
                           
                           
                              
                                 Rüben vor dem Versuch
                                 4400
                                 Grm.
                                 
                              
                                     (auf 0,5 Grm. genau)
                                 
                                 
                              
                                 Gewichtszunahme
                                 25,2
                                 „
                                 
                              
                                     (in atm. 0 bestehend)
                                 
                                 
                              
                                 
                                 ––––––––––
                                 
                              
                                 
                                 4425,2
                                 Grm.
                                 
                              
                                 Rüben nach dem Versuch
                                 4330,5
                                 Grm.
                                 
                              
                                 Ausgeschiedenes H²O
                                 60,4
                                 „
                                 
                              
                                 Ausgeschiedene CO²
                                 43,3
                                 „
                                 
                              
                                 
                                 ––––––––––
                                 
                              
                                 
                                 4425,2
                                 Grm.
                                 
                              
                           Das im Cl² Ca Rohr aufgefangene Wasser betrug in Summa 2,435, pro Tag durchschnittlich 0,0812, die
                              gewogene Kohlensäure in Summa 34,287, pro Tag durchschnittlich 1,1429. In der Miete en miniature verblieben 58 Grm. Wasser. Cl² Ca und KHO-Vorlagen wurden täglich gewogen.
                           Vergleichen wir das experimentelle Resultat mit der Theorie: In der Athmung verbrennt der Rohrzucker mit atmosphärischem Sauerstoff
                              unter Wasserausscheidung zu Kohlensäure:
                           C¹²H²²O¹¹ + 12 O² = 11 H²O + 12 CO².
                           12 CO² ist gefunden zu 34,39; hieraus berechnet sich 12 O² zu 24,9 (gef. 25,2.) Da die großen Wägungen nicht genauer als
                              auf 0,5 Grm. gemacht werden konnten, so halte ich die erzielte Uebereinstimmung für genügend und glaube ferner, daß bei normal
                              aufbewahrten Rüben die ausgeathmete Kohlensäure einen directen Rückschluß auf verbrauchten Rohrzucker gestattet. So berechnet
                              sich der
                              durch die Versuchsrüben (4400 Grm.) binnen 30 Tagen verbrannte Zucker auf 22,2 Grm. also rund 0,5 Proc. vom Rübengewicht;
                              demnach
                              hätte caeteris paribus eine Miete von 1000 Ctr. Rüben in 2 Monaten 10 Ctr. Zucker verloren.
                           Der geschilderte Athmungsvorgang, die stete Gasmetamorphose, welche sich in den Pflanzen vollzieht, lassen schon a priori eine von der atmosphärischen Luft abweichende Zusammensetzung ihrer Zimmerluft voraussetzen. Der ständige
                              Gasaustausch, nicht unabhängig von der individuellen Natur der einzelnen Pflanze, wird auch noch durch äußere Umstände (Witterung,
                              Tages-, Jahreszeit u.s.w.) stark beeinflußt. Eine constante Zusammensetzung der Binnenluft kann also nicht erwartet werden.
                              So
                              sind denn die Resultate der Analysen von Gardner, Saussure, Dutrochet, Theod. Bischoff, Focke, Bérard,
                                 Calvert und Ferrand, Franz Schulze u.a. unter einander sehr abweichend.Siehe Franz Schulze, Lehrbuch der Chemie für Landwirthe 1853, Bd. I S. 58 ff. Es schien mir nicht ohne Interesse zu seyn, die in den Rübenwurzeln befindliche Luft kennen zu lernen. Um sie zu gewinnen, bediente ich mich zunächst eines ähnlichen Apparates wie von Meyer
                              Journal für praktische Chemie 1872, Bd. V S. 147; polytechn. Journal Bd. CCIV S.
                                       462. bei Untersuchung der von Steinkohlen eingeschlossenen Gase, obgleich es auf diesem Wege nicht möglich ist, alle Kohlensäure
                              aus dem auf 100° erhitzten Rübenbrei zu entfernen. Um bei dem Einfüllen des letzteren die adhärirenden Luftblasen fast
                              vollständig wegzuschaffen, bewährte es sich, abwechselnd mit Breiportionen kleine Quantitäten sorgsam ausgekochten und ziemlich
                              abgekühlten destillirten Wassers einzugießen und jedesmal gelinde zu schwenken. Die nach der Bunsen'schen
                              Methode ausgeführte Analyse ergab beispielsweise
                           
                              
                                 CO²
                                 30,52 Vol. Proc.
                                 
                              
                                 O
                                   0,14   „     „
                                 
                              
                                 N
                                 69,34   „     „
                                 
                              
                           und bei einer anderen Partie
                           
                              
                                 CO²
                                 35,10 Vol. Proc.
                                 
                              
                                 O
                                   0,56   „     „
                                 
                              
                                 N
                                 64,31   „     „
                                 
                              
                           Der Stickstoff wurde durch Explosion mit Knallgas als solcher constatirt. – Von 1000 Grm. Rüben erhielt ich gewöhnlich 130
                              bis
                              150 K. C. Gas.
                           Die angewandte Methode erfährt vielleicht den Einwand, daß eine zweistündige Wärme von nahezu 100° bereits mehr CO² hätte
                              erzeugen können als dem durch den Vegetationsproceß gegebenen Quantum entspricht. Deßhalb entschloß ich mich, die Binnenluft
                              bei
                              gewöhnlicher Temperatur zu gewinnen. Nach vielen vergeblichen Versuchen beschränkte ich mich darauf, den mit denkbarster
                              Geschwindigkeit ausgepreßten Saft mit der Sprengel'schen Quecksilberpumpe zu entgasen. Da die
                              Mengenverhältnisse entweichender, bezüglich verbleibender Luftarten, von ihnen selbst, vom Druck, Temperatur und der Natur
                              der
                              Flüssigkeiten abhängen, in welchen sie absorbirt sind, so trat bei dieser zweiten Methode in noch viel deutlicherer Weise,
                              als bei der
                              ersten anfangs vorwiegend N, später mehr CO² auf. Die Analysen von drei nach einander binnen circa 5 Stunden aus ungefähr 1 Liter Saft bei 15° C. gewonnenen Gasportionen ergaben:
                           
                              
                                 
                                 I.
                                 II.
                                 III.
                                 
                              
                                 CO²
                                 11,49
                                 41,02
                                 78,90
                                 
                              
                                 O
                                   1,53
                                   2,10
                                   6,06
                                 
                              
                                 N
                                 86,98
                                 56,88
                                 21,04
                                 
                              
                           
                           Ich halte es hinlänglich erwiesen, daß, bedingt durch die Athmung, die in Rübenwurzeln vorfindliche Luft neben Stickstoff
                              erhebliche
                              Mengen Kohlensäure und nur äußerst wenig Sauerstoff enthält.