Titel: | Der gegenwärtige Stand der Motorluftschiffahrt. |
Autor: | Ansbert Vorreiter |
Fundstelle: | Band 324, Jahrgang 1909, S. 282 |
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Der gegenwärtige Stand der
Motorluftschiffahrt.
Von Ingenieur Ansbert
Vorreiter.
(Fortsetzung von S. 268 d. Bd.)
Der gegenwärtige Stand der Motorluftschiffahrt.
III. Schwingenflieger.
In neuerer Zeit beschäftigen sich wieder verschiedene Konstrukteure mit dem
Schwingenflieger, da hierbei die Schwierigkeiten der Schrauben nicht vorhanden sind.
Bekanntlich waren die ersten Flugapparate, die konstruiert worden sind,
Schwingenflieger; hat sich doch bereits Leonardo da
Vinci mit der Konstruktion eines Schwingenfliegers befaßt.
Die Schwingenflieger bestehen im wesentlichen aus zwei auf und ab schwingenden
Flügeln, deren Flächen als Jalousien ausgebildet sind, so daß sie sich beim
Aufwärtsschwingen öffnen und die Luft hindurchstreichen lassen, beim
Abwärtsschwingen aber schließen, wodurch die Luft nach unten gedrückt wird. Bei
entsprechender Geschwindigkeit der Schwingbewegung wird der Druck auf die Luft so
groß, daß der ganze Flugapparat sich hebt. Die Schwingenflieger ermöglichen
also, wie die Schraubenflieger, ein Erheben vom Stand ohne Anlauf. An einem
Schwingenflieger hat auch der erste Meister des Gleitflugs, Lilienthal, gearbeitet, ohne jedoch mangels eines brauchbaren Motors
befriedigende Resultate zu erhalten.
Textabbildung Bd. 324, S. 282
Fig. 52. Schwingenflieger von Collomb von vorn gesehen.
Sich mit einem Schwingenflieger für Bruchteile einer Minute vom Erdboden zu erheben,
gelang das erstemal Collomb in Lyon. Derselbe verwendet
wie Fig. 52 erkennen läßt, zwei Paar Flügel, die
nebeneinander angeordnet sind, oder richtiger ein Paar Doppelflügel an. Jeder
Doppelflügel ist in der Mitte um zwei Zapfen schwingbar. Letzere sind an zwei
vertikalen Stangen befestigt, die unten mit dem Fahrgestell verbunden sind. Die
inneren Seiten der beiden Flügelpaare sind miteinander gelenkig verbunden. An diesen
Gelenken greifen die beiden treibenden Schubstangen an, die die Flügelpaare in
Oszillation versetzen.
Die Pleuel selbst werden durch zwei vertikal geführte Ketten angetrieben.
Ruthenberg in Grunewald bei Berlin hat einen
Schwingenflieger (Fig. 53) gebaut, der zum Erheben
und Tragen mit einem Paar Schwingen zur horizontalen Fortbewegung mit zwei Schrauben
ausgerüstet ist. Das Fahrgestell und das Gerippe der Schwingen sind aus Stahlrohr
hergestellt, und zwar unter Vermeidung der Hartlötung und autogenen Schweißung durch
ein neues Verfahren, das eine besondere Art der Weichlötung zu sein scheint. Die
Schwingen haben eine Oberfläche von 20 Quadratmetern. Hinten am Gestell sind zwei
Schrauben montiert, die in entgegengesetzter Richtung rotieren. Diese Schrauben sind
ebenfalls ganz aus Stahl hergestellt mit Ausnahme der Flügelflächen, für welche
Magnaliumblech genommen wurde. Der Antrieb der Schrauben erfolgt mittels Riemen, der
Antrieb der Kurbelwelle für die Schwingen mittels Schnecke und Schneckenrad im
Uebersetzungsverhältnisse 1 zu 10. Schwingen und Schrauben können mittels
Kuppelungen beliebig ein- und ausgeschaltet werden. Um die Flugversuche ohne Gefahr
vornehmen zu können, wird ein kleiner Wasserstoffballon über dem Schwingenflieger
angebracht, so daß beim Versagen des Motors der Apparat langsam zur Erde fällt. Auch
wirken hierbei die Schwingen als Fallschirm. Später wenn alles gut funktioniert und
der Führer eingearbeitet ist, wird der Ballon kleiner gemacht, so daß er nur einen
Teil des Gewichtes trägt, und schließlich wird der Ballon überhaupt entfernt.
Textabbildung Bd. 324, S. 283
Fig. 53. Schwingenflieger von Ruthenberg von vorn gesehen.
Bert Wallin in Gotenburg in Schweden beschäftigt sich
seit drei Jahren mit der Konstruktion eines Schwingenfliegers. Dieser
wissenschaftlich gebildete Mann geht bei seinen Versuchen sehr planmäßig vor und ist
daher von seinen Arbeiten ein gutes Ergebnis zu erwarten. Die schematische Zeichnung
Fig. 54 zeigt den zweiten von Wallin ausgeführten Schwingenflieger. Durch
Schlagversuche mit einfachen Flügeln verschiedener Form hat Wallin die günstigsten Bedingungen für die Bewegung der Schwingen
festgestellt; er kam dabei zu dem Resultat, daß die Flügel nach unten schnell bewegt
werden müssen, nach oben, also bei geöffneten Jalousien, langsam. Zu diesem Zwecke
konstruierte Wallin den in Fig. 55 dargestellten Kurbelmechanismus. Die durch den Motor in Rotation
versetzte Kurbel i setzt mittels der Schubstange s einen Hebel d in
oszillierende Bewegung. Dieser Hebel betätigt durch zwei nicht gezeichnete
Schubstangen die Schwingen. Infolge der Lage der Kurbel i zum Hebel d und der gewählten Länge der
Schubstange s erhält der Hebel d eine ungleichmäßige Bewegung, bei gleichmäßiger Bewegung der Kurbel i. Und zwar wird die Aufwärtsbewegung des Hebels d verzögert, indem zur Erteilung derselben die Kurbel
i mehr als die Hälfte ihrer Kreisbewegung von 0 bis 5 der in den
Kurbelkreis eingezeichneten Zahlen zurücklegen muß. Entsprechend dieser Verzögerung
der Aufwärtsbewegung des Hebels ist die Abwärtsbewegung beschleunigt, da dieselbe
auf dem Kurbelweg von 5 bis 0
ausgeführt wird. Entsprechend dieser verschiedenen Bewegungsgeschwindigkeit ist
auch der Druck der Schwingen auf die Luft ein verschiedener. Dieser Druck ist durch
die Linie A–B dargestellt;
in derselben sind die gleichen Zahlen wie in dem Kurbelkreis eingeschrieben, und
bedeutet die Linie x die Geschwindigkeit der Schwingen
in senkrechter Richtung an den verschiedenen Stellen des Kurbelkreises.
Textabbildung Bd. 324, S. 283
Fig. 54. Schwingenflieger von Wallin.
Fig. 54. AA1 oberes, BB1 unteres
Schwingenpaar, C Zugstangen zum Antrieb der Schwingen, F federnde Füße, G
Schraube, H Motor, J Jalousie-Klappen in den Schwingen, P Pleuel zum Antrieb der
Hebel D. an welchen die Stangen C greifen, S Schnecke zum Antrieb der
Kurbelscheibe K.
Man erkennt, daß die Abwärtsgeschwindigkeit der Schwingen fast noch einmal so schnell
ist als die Aufwärtsbewegung. Die Linie y bezeichnet
die Druckänderungen, die die Schwingen in der Luft erzeugen, wenn die Schwingen
sowohl beim Auf- wie beim Abwärtsschwingen geschlossen sind. Und die Kurve z schließlich läßt erkennen, um wieviel der Druck auf
die Luft bei der Aufwärtsbewegung geringer wird, wenn bei dieser Bewegung die
Jalousie der Schwingen geöffnet sind.
Textabbildung Bd. 324, S. 283
Fig. 55.
Wallin hat an seinem Schwingenflieger zwei Paar
Schwingen übereinander angeordnet. Er glaubte nämlich, ein besseres Resultat zu
erhalten, wenn sich ein Paar Schwingen nach aufwärts bewegen, während das andere
Paar abwärts schwingt. Die Versuche bewiesen jedoch das Gegenteil, die besten
Resultate wurden erreicht, wenn sich die beiden Schwingenpaare parallel bewegten.
Daraus folgt, daß der einfache Schwingenflieger mit nur ein Paar Schwingen die
besseren Resultate geben wird. Der erste Schwingenflieger von Wallin war nur mit einem 4 PS Zweizylindermotor
ausgerüstet, und zwar war dies ein gewöhnlicher Fahrradmotor. Mit diesem Motor
konnte der Schwingenflieger 60 kg in der Luft freischwebend erhalten; um jedoch sein
eigenes Gewicht mit dem Führer in die Luft zu erheben, wären, wie sich nach den
Versuchen berechnen läßt, mindestens 8 PS notwendig gewesen. Nach diesen sehr
eingehenden Versuchen von Wallin sind zum Heben von 100
kg mit den Schwingen 6,13 PS erforderlich. Den Wirkungsgrad der Schwingen hat Wallin zu 70% festgestellt; er ist also so gut, wie der
der besten Treibschrauben und wesentlich besser als bei den besten bisher gebauten
Hubschrauben. Dabei machten bei seinem Versuchsapparat die Schwingen i.d. Min. 150
Schläge.
Textabbildung Bd. 324, S. 284
Fig. 56. Rotierender Schwingenflieger von Meckel und Frohwein.
Wallin versuchte auch den günstigsten Schlagwinkel
festzustellen, doch sind hierüber seine Versuche noch nicht beendet; es scheint, daß
der günstigste Schlagwinkel etwa 60° beträgt.
Von den planmäßigen Versuchen Wallins darf eine
endgültige Lösung des Schwingenfliegers erwartet werden. Ein größerer
Schwingenflieger nach der Konstruktion Wallin mit
genügend starkem Motor ist in Arbeit. Die Versuche mit demselben sind im Gange.
An einem kombinierten Drachen- und Schwingenflieger arbeitet seit mehreren Jahren Schelies in Hamburg, doch wünscht der Konstrukteur
keine Veröffentlichungen gegenüber seinen Arbeiten.
Der Schwingenflieger von de la Hault in Brüssel ist
ebenfalls mit zwei Schwingen ausgerüstet. Bei demselben werden die zwei Schwingen
durch einen Schleppkurbelmechanismus in hin- und hergehende Bewegung versetzt und
zwar machen die Schwingen auf ihrem Drehzapfen gleichzeitig eine schiebende
Bewegung. Die Drehzapfen sind an beiden Enden einer Achse befestigt, die sich
mittels Spindel und Handrad drehen läßt, wodurch die Stellung dieser Achse und damit
die Richtung der Schwingungen verändert werden kann. Zum Auffliegen werden die
Zapfen horizontal gestellt, so daß die Schwingen nach unten arbeiten, zur
horizontalen Fortbewegung wird die Achse mit den Zapfen der Schwingen geneigt
eingestellt, so daß die Schwingen von oben vorn nach unten hinten arbeiten. Der
Mechanismus dieses Schwingenfliegers und der 8-Zylinder-Motor desselben ist zwar
sehr interessant, es sind jedoch noch keine Dauerflüge gelungen, sondern nur ein
kurzes Erheben vom Boden.
Sehr interessante Versuche mit Schwingenfliegern machten auch Meckel und Frohwein in Elberfeld. Dieselben
versuchten, die oszillierende Bewegung der Schwingen zu vermeiden; da die Umkehrung
der Bewegungsrichtung Kraft verzehrt, namentlich bei größerer Geschwindigkeit. Die
Schwingen, die ebenfalls mit Jallousinen versehen waren, machen eine rotierende
Bewegung. Fig. 56 zeigt diesen Versuchsapparat.
Bei der rotierenden Bewegung können sich die Jallousinen durch den Druck der Luft
nicht selbsttätig schließen, vielmehr muß dies zwangläufig geschehen. Wie die
Abbildung erkennen läßt, benutzte Meckel zwei Paar
rotierende Flügel, die um 90° gegeneinander versetzt waren. An jedem Lagerbock für
die Flügelwelle ist ein Exzenter bzw. eine Kurvenscheibe befestigt, welche an ihrem
höchsten und tiefsten Punkt mit einem Nocken versehen ist. Ueber diese Kurvenscheibe
gleitet ein mit einer Rolle versehener Hebel, dessen Drehpunkt sich an dem Flügel
befindet und mit diesem rotiert, wodurch die Jalousien, die mit diesem Hebel durch
Zugstangen in Verbindung stehen, in dem Moment, in welchem das zugehörige Flügelpaar
vertikal steht, umgeschaltet werden, und zwar werden die Jalousien im oberen Flügel
geschlossen, im unteren geöffnet. Der Versuchsapparat von Meckel ist viel zu schwer ausgeführt um sich in die Luft erheben zu
können; durch Anwendung einer Federwage konnte die Hebekraft festgestellt werden.
Die Versuchsergebnisse sind jedoch bis jetzt nicht veröffentlicht.
Textabbildung Bd. 324, S. 284
Fig. 57. Schaufelradflieger von L'estage.
Auch L'estage in Paris ist bestrebt, die oszillierende
Bewegung der Schwingen aufzuheben und konstruierte einen Flieger, bei welchem vier
Systeme von rotierenden Flügeln zur Anwendung kommen. Fig.
57 zeigt diesen Flugapparat, den man als Schaufelradflieger, ebenso wie
den vorbeschriebenen von Meckel bezeichnen könnte. Die
Anordnung ist jedoch komplizierter als bei Meckel
und wäre wohl
letzterer Konstruktion der Vorzug zugeben. Der Drehsinn der vier Flügelradsysteme
ist der gleiche und ebenso die Rotationsgeschwindigkeit. Auch mit diesem Flugapparat
sind noch keine Flüge gelungen. Die nächste Zukunft im dynamischen Fluge gehört
zweifellos dem Drachenflieger. Die meisten Flüge sind bisher mit Drachenfliegern
erreicht worden. Der Drachenflieger wird zunächst ein Sportfahrzeug und wird als
solches ohne Zweifel dem Automobilsport erheblichen Abbruch tun, da er weit
interessanter, allerdings auch gefährlicher ist, so lange noch so häufig Störungen
an den Motoren auftreten. Noch mehr als beim Automobil ist beim Drachenflieger der
Motor die Seele der ganzen Maschine. Wenn die Flugmotoren erst so zuverlässig
arbeiten werden wie unsere heutigen Automobilmotore, aus denen sie entwickelt sind,
so wird die allgemeine Einführung der Drachenflieger als Sportfahrzeug zur Tatsache.
Bei der Wichtigkeit der Motoren für alle Flugapparate sollen dieselben in einem
besonderen Aufsatze eingehend beschrieben werden. Wie bei den dynamischen
Flugapparaten steht auch in der Fabrikation der leichten Motoren für dieselben
Deutschland namentlich gegenüber Frankreich zurück. Dagegen bauen die großen
deutschen Automobil-Fabriken, wie Daimler und N.A.G. bereits vorzügliche Motore für Motorballons.
(Fortsetzung folgt.)