Titel: Das Eisenbahnwesen auf der Weltausstellung in Brüssel 1910.
Autor: A. Bucher
Fundstelle: Band 326, Jahrgang 1911, S. 226
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Das Eisenbahnwesen auf der Weltausstellung in Brüssel 1910. Von Ingenieur A. Bucher, Tegel bei Berlin. Lokomotiven. (Fortsetzung von S. 216 d. Bd.) Das Eisenbahnwesen auf der Weltausstellung in Brüssel 1910. Nr. 8–13. 2C-Vierlings-Heißdampf-Schnellzuglokomotive, Type 9, System „Flamme“, der Belgischen Staatsbahn, Betriebs-Nr. 4041–4046. (Fig. 8485.) Textabbildung Bd. 326, S. 226 Fig. 84 und 85. 2C-Vierlings-Heißdampf-Schnellzuglokomotive der Belgischen Staatsbahn. Die Belgische Staatsbahn brachte ausschließlich Heißdampflokomotiven zur Schau. Von der Type 9, die zum Teil aus Lüttich und Mailand her schon bekannt ist. waren in Brüssel sechs Maschinen ausgestellt, deren Erbauer aus Tab. 2 S. 25 d. Bd. ersichtlich sind. Diese Maschine, bestimmt für die Beförderung schwerer Schnellzüge mit durchwegs drei Wagenklassen, ist nach den Angaben des Generaldirektors J. B. Flamme, welcher auch Mitglied des Preisgerichts war, erbaut und hat sich nach mehrfachen, aus dem Betriebe sich ergebenden Vervollkommnungen zu einer beliebten Normaltype entwickelt. Textabbildung Bd. 326, S. 227 Fig. 86. Textabbildung Bd. 326, S. 227 Fig. 87. Der Kessel enthält, wie alle von 1901 bis jetzt gebauten belgischen Heißdampflokomotiven, nach Fig. 86 den dreireihigen Schmidtschen Rauchröhrenüberhitzer, bestehend aus 25 Rauchröhren von 127 mm innerem und 25 × 4 = 100 Ueberhitzerröhren, die von unten senkrecht in den Dampfsammelkasten einmünden. Um die beim angeheizten Kessel auftretenden Spannungen und die hieraus sich ergebenden Undichtigkeiten in den Rohrwänden nach Möglichkeit zu vermeiden, sind die 180 Messingsiederohre schon im kalten Zustande mit geringer Pfeilhöhe nach oben durchgebogen, was sich im Betriebe gut bewährt hat. Die über 3 m lange, kupferne Feuerbuchse mit reichlicher Tiefe liegt zwischen den Rahmen; sie ist infolge ihrer großen, oberen Breite von vorn eingebracht, die Stiefelknechtwand wird also zuletzt genietet. Die kupfernen Stehbolzen haben in den unteren Reihen 26 mm , in den oberen, in den Krümmungen liegenden Reihen 30 mm . Sowohl die Kesselrückwand als auch die Feuerbuchsrohrwand sind durch eine Anzahl Längsanker mit der Rauchkammerrohrwand verbunden, ebenso der Langkessel, welcher aus drei Schüssen besteht, von denen der mittlere den Dom mit breitem Fuß trägt. Zur Aufnahme des großen Ueberhitzerkastens ist die Rauchkammer stark erweitert und mit Winkelring an den vorderen Langkesselschuß angenietet. Die zwei schrägliegenden Ueberhitzerklappen werden durch einen rechtssitzenden Automaten oder durch Zug von Hand bewegt, wobei zur Ausbalancierung in der Rauchkammer besondere Gegengewichte vorgesehen sind. Armaturen. Die Feuertür ist zweiteilig ausgeführt aus einfacher doppelter Blechplatte mit Distanzstücken. Von dem 3 m langen Rost ist eine mittlere Lage als Kipprost ausgebildet; die Feuerbuchse erhält ein langes Feuergewölbe. An der Kesselrückwand befinden sich wie bei englischen Lokomotiven zwei Injektoren Nr. 11 von Schäffer & Budenberg, Lüttich, mit über der Feuerbuchsdecke durch den Kessel hindurchgehenden Dampf- und Druckrohren, ferner zwei Wasserstände mit Schutzgläsern, System Flamme. Vorn über der Feuerbuchse sitzen vier Sicherheitsventile belgischer Bauart und die Dampfpfeife. Der im Dom befindliche Ventilregler wird durch Drehwelle mit Doppelhebel betätigt. Textabbildung Bd. 326, S. 228 Fig. 88a. Textabbildung Bd. 326, S. 228 Fig. 88b. Textabbildung Bd. 326, S. 228 Fig. 89. Textabbildung Bd. 326, S. 228 Fig. 90. Textabbildung Bd. 326, S. 228 Fig. 91. Zylinder. Alle vier Hochdruckzylinder liegen in einer Ebene auf Mitte Drehgestell nebeneinander, sind jedoch einzeln gegossen mit einem Modell für beide äußeren und einem für die zwei inneren Zylinder, die Kolben wirken sämtlich auf die erste Treibachse. Der Einströmdampf wird nach Fig. 87 auf Mitte Zylinder in die Schieberkästen geführt, während die Abströmung ohne Auspuffkasten an den Zylinderenden durch eingegossene Kanäle erfolgt. Die Kolbenschieber laufen in gußeisernen Buchsen (Fig. 88) mit 18 mm Wandstärke. Die Durchbrechungen der Buchsen für die Einströmung sind neuerdings nach Fig. 88b dreieckförmig ausgeführt, dabei den früheren, nach Fig. 88a parallelogrammförmig durchbrochenen Buchsen die Schieberringe ungleichmäßige Abnutzung zeigten und sich verdrehten. Die Stahlguß-Kolben (Fig. 89) laufen auf drei Dichtungsringen, von denen die äußeren beiden durchbohrt sind und durch den dahintertretenden Dampf leicht an die Zylinderwandung gedrückt werden. Während die hintere Kolbenstange und Stopfbuchse der Schmidtschen (D. p. J. 1909, S. 158) nachgebildet ist, besteht die vordere nur aus einer langen Führungsbuchse, welche, im Innern mit Schmiernuten versehen, von einer langen Gußhülse umgeben und mit aufgeschraubtem Flansch auf den vorderen Zylinderdeckel gepreßt wird. Eine 3 mm Bohrung im Fuße der Führungsbuchse leitet die durch die Kolbenstange etwa erzeugte Preßluft nach dem Zylinderraum. Jeder Deckel hat ein Sicherheitsventil von 100 mm . Für den Leerlauf sind an den Dampfeinströmungen Luftventile vorgesehen, außerdem ist an jedem Zylinder ein Druckausgleichkanal, der durch Oeffnung eines Absperrhahnes die beiden Seiten eines Zylinders miteinander verbindet; die Hähne werden mit Brems-Preßluft von einem Servo-Motor betätigt, ebenso die Zylinder-Ablaßventile. Treib- und Kuppelstangen haben nachstellbare Lagerschalen. Für die Steuerung haben keine Schmidtschen Schieber, sondern 200 mm Kolbenschieber eigener Bauart mit federnden Ringen nach Fig. 90 u. 91 Verwendung gefunden. Diese Schieber bestehen aus zwei auf der Schieberstange aufgekeilten, zweiteiligen Schieberkörpern und drei gußeisernen Ringen, von denen die zwei äußeren aufgeschnitten und gegen Verdrehen durch einen Stift gesichert sind. Um ein gleichmäßiges Tragen zu erzielen, hat der größere der beiden federnden Ringe sechs auf den Umfang verteilte Löcher von 3 mm erhalten, so daß der durchtretende Dampf den Ring von innen an die Buchse herausdrückt. Das Steuergestänge ist nach Heusinger-Walschaert und liegt außen, die inneren gegenläufigen Schieber erhalten ihre Bewegung durch einen beim Gegenlenker angebrachten Doppelhebel, ähnlich wie bei Nr. 7. Die Umsteuerung hat die bekannte Kombination nach Rongy mit Schraube und Händel und mit Servo-Motor, dessen Kolben durch Dampf gesteuert wird. Fig. 92ac zeigt Schematisch die Anordnung und Wirkungsweise dieser Umsteuerung. Durch den Hebel a wird ein mit diesem verbundener Hahn w geöffnet, der Dampf tritt hinter den Kolben des Steuerzylinders v und druckt den Kolben sowie die mit dessen durchgehender Stange verbundene Steuerzugstange in der gewünschten Bewegungsrichtung vorwärts, wobei das Händel b mitgenommen wird. Die Steuerwelle trägt ein Gegengewicht zur Ausbalancierung der bewegten Stangen. Textabbildung Bd. 326, S. 229 Umsteuerung, Bauart Rongy. Fig. 92a. Anfangsstellung; Fig. 92b. Umsteuerung; Fig. 92c. Endstellung Textabbildung Bd. 326, S. 229 Fig. 93. Rahmen. Der Hauptrahmen aus 26 mm Platten ist vor der Treibachse etwas eingezogen und durch Stahlguß-Querversteifungen und durch die Innenzylinder kräftig abgesteift. Die Achsbuchsen sind ohne Stellkeile ausgeführt, die Tragfedern liegen unten und sind durch Ausgleichhebel verbunden. Zur Erzielung großer Flächen durch lange Achsschenkel sind die Radsternnaben möglichst weit hinausgedrückt, die Treibachse hat im Kropfarm Rechteckquerschnitt. Das Drehgestell mit Innenrahmen aus 26 mm Blech hat wie Nr. 6 die bekannte Bauart mit Wiege und Pendelaufhängung, die eine Verschiebung von 65 mm nach jeder Seite gestattet. Bremse. Zwei hinter der Treibachse innen am Rahmen senkrecht angeordnete Bremszylinder wirken mit Druckluft, Bauart Westinghouse, Sevran, auf die einseitig angebrachten Bremsklötze der Kuppelräder, während die Laufräder durch zwei besondere Zylinder mit Doppelkolben gebremst werden, die ihre Preßluft durch ein Funktionsventil aus dem vorn aufgehängten Hilfsluftbehälter erhalten. An Sonderausrüstungen sind zu nennen: ein Preßluft-Sandstreuer, Bauart Gresham & Graven, zwei Schmierpressen „telesco-pompes“ mit je acht Oelabgaben für Kolben und Schieber, angetrieben von der Kulisse; ferner Betr.-Nr. Erbauer Kessel Rahmen Triebwerk 4041 Thirian violett, matt dunkelbraun blank 4042 Gilly gelbbraun poliert 4043 Gilain dunkelbraun blank 4044 Biesme grün, lackiert schwarz 4045 La Meuse hellbraun 4046 Energie ein Pyrometer von M. Fournier, Paris, zum Messen der Ueberhitzungs-Temperatur. Der dreiachsige Tender (Fig. 93), geliefert von Usines metallurgiques La Brugeoise in St. Michel–les Bruges, faßt 20 cbm Wasser und 6 t Kohlen bei einem Leergewicht von 22 t. Anstrich. Wie schon im Vorbericht dieser Arbeit gesagt wurde, haben sich die belgischen Aussteller mit großem Fleiße bemüht, ihren Maschinen ein recht farbiges, äußerst blankes Aussehen zu geben. So waren die sechs Stück 2C-Lokomotiven in den verschiedensten Farbentönen zu sehen, und für die einzelnen Firmen ergibt sich das aus obenstehender Tabelle ersichtliche bunte Bild. Einzelne Maschinen waren fast übertrieben bunt und mit blanken Teilen etwas überladen, denn außer dem Trieb sah man auch blankes Bremsgestänge, Federgehänge usw. Wenn auch das äußere Kleid der 2C-Lokomotiven etwas farbig und geziert war, so bot die Maschine an sich einen sehr guten Eindruck durch ihre glatte, ruhige Formgebung. Leistungen. Die 2C-Vierlingsmaschinen befördern Schnellzüge mit hoher Geschwindigkeit in flachem Gelände, sie eignen sich aber infolge ihres großen Reibungsgewichtes von 54 t gleich gut zur Beförderung der Züge Paris–Köln, auf den belgischen Strecken Charleroi–Namur–Liege–Verviers mit wechselnden Neigungsverhältnissen. Fig. 94 zeigt die auf der Strecke Gent-Ostende zwischen Kilometer 90 und 106 am 24. 9. 09 auf einer Versuchsfahrt mit 26 v. H. Füllung und halb geöffnetem Regulator aufgenommenen Zugkräfte Z in kg bei den Geschwindigkeiten V in km/Std. Die Verminderung der Zugkraft zwischen V = 19 und V = 90 km/Std. beträgt dabei nur 27 v. H., zwischen 103 und 123 km/Std. nur 5 v. H., die Dauerleistung betrug 1600 bis 1700 PSi. Textabbildung Bd. 326, S. 229 Fig. 94. Nr. 14. 2C-Vierzylinder-Verbund-Schnellzuglokomotive der Französischen Nordbahn, Betriebs-Nr. 3526. gebaut in den Hellemes-Werkstätten 1908. (Fig. 9596.) Die Französische Nordbahn hat für die Beförderung ihrer schwersten Schnellzüge bis zu 350 t vor drei Jahren eine neue, verstärkte 2C-Type beschafft, deren Bauart ihren aus früheren Berichten bekannten 2B1 und 2C-Lokomotiven vollkommen ähnlich ist. Rahmen, Untergestell und Triebwerk wurden so leicht wie möglich konstruiert, um einen möglichst großen Kessel unterbringen zu können. Trotz dem verhältnismäßig kleinen Treibraddurchmesser von 1750 mm fahren diese Maschinen, von denen eine in Brüssel ausgestellt war, mit Geschwindigkeiten bis zu 115 km/Std.; beide Zylinderpaare haben Flachschieber mit Entlastung, die Ein- und Ausströmkanäle sind bedeutend vergrößert. Textabbildung Bd. 326, S. 230 Fig. 95. Textabbildung Bd. 326, S. 230 Fig. 96. Der dreiachsige Tender, von den Ateliers de Construction da Nord de la France in Blanc Misseron (fr. Grenze) geliefert und nur an dieser Maschine mit ausgestellt, faßt bei 18,7 t Leer- und 48 t Dienstgewicht 23 cbm Wasser und 6 t Kohlen. Die Konstruktion desselben ist genau gleich wie bei der 2 B 2 S L Nr. 4. Seit der Ablieferung der ersten Serie von 25 Stück dieser Type sind weitere 20 Maschinen ausgeführt worden, die zur Erhöhung ihrer Leistungsfähigkeit einen Rauchröhrenüberhitzer, Patent W. Schmidt, enthalten. (Fortsetzung folgt.)