Titel: TECHNIK UND INDUSTRIE AUF DER INTERNATIONALEN HYGIENE-AUSSTELLUNG IN DRESDEN.
Autor: A. Sander
Fundstelle: Band 326, Jahrgang 1911, S. 737
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TECHNIK UND INDUSTRIE AUF DER INTERNATIONALEN HYGIENE-AUSSTELLUNG IN DRESDEN. Von Dr. Ing. A. Sander, Charlottenburg. SANDER: Technik und Industrie auf der Internationalen Hygiene-Ausstelung in Dresten. Inhaltsübersicht. Bei einem Rundgang durch die Ausstellung werden die in den einzelnen Hallen ausgestellten Neuerungen auf dem Gebiete der Technik und Industrie, mit der Kraftanlage beginnend, besprochen, so weit sie für den Ingenieur und den Chemiker von Interesse sind. ––––– Die Veranstaltung einer Internationalen Hygiene-Ausstellung war von Anfang an ein schwieriges Unternehmen; galt es doch, einerseits im großen Publikum die weit verbreiteten falschen Anschauungen über das Wesen der Hygiene richtigzustellen, und andererseits die Industrie, deren Aufmerksamkeit in diesem Jahre wohl in erster Linie von der Jubiläums-Ausstellung in Turin in Anspruch genommen war und deren Ausstellungsmüdigkeit auf den Weltausstellungen der letzten Jahre häufig genug zutage trat, auch für dieses großzügige Unternehmen zu interessieren. Beides ist der Ausstellungsleitung in hervorragendem Maße gelungen, wie der anhaltende Massenbesuch der Ausstellung und ihre qualitativ wie quantitativ höchst befriedigende Beschickung von Seiten der Industrie beweisen. Bei den mannigfachen Beziehungen der Hygiene zu unserem gesamten häuslichen und öffentlichen Leben war auch die Gruppierung des auszustellenden Materials eine recht schwierige Aufgabe, die jedoch ebenfalls vorzüglich gelöst wurde. Für jede der großen Abteilungen, wie „Ansiedlung und Wohnung“, „Kleidung und Körperpflege“, „Nahrungs- und Genußmittel“ usw., wurden besondere Hallen errichtet, und in jeder dieser Hallen wurde wieder gleichsam als Kern in der Mitte eine gesonderte wissenschaftliche Abteilung untergebracht, um die sich die Erzeugnisse der Industrie herumgruppieren. Durch diese Anordnung wird der Hauptzweck der Ausstellung, belehrend und aufklärend zu wirken, in geradezu unübertrefflicher Weise erreicht. Man sicht in der Mitte der einzelnen Hallen (ähnlich wie im Deutschen Museum in München) an Modellen, Laboratoriumsapparaten, Photographien und Zeichnungen die wissenschaftliche Durcharbeitung irgend eines Problems und kann dann an den von der Industrie rundherum ausgestellten Gegenständen die praktische Verwertung jener Forschungsergebnisse verfolgen. Bei der Ausdehnung und Reichhaltigkeit dieser Ausstellung – die gesamte Anlage bedeckt 320000 qm und übertrifft damit die vorjährige Brüsseler Weltausstellung an Flächenraum – kann in dem folgenden Bericht natürlich nur das geschildert werden, was für den Ingenieur und den Chemiker von besonderem Interesse ist. Eine große Maschinenhalle ist hier naturgemäß nicht vorhanden, und auch die Kraftstation (550 PS) ist nicht sehr umfangreich; dennoch bietet sie manches Interessante, vor allem, weil hier ein für gewöhnlich als minderwertig bezeichneter Brennstoff, nämlich Braunkohlenbriketts, ausschließlich zur Anwendung gelangt. Der Verein der Niederlausitzer Braunkohlenwerke, Senftenberg, N.-L., will mit dieser Anlage den Besuchern zeigen, daß die übliche Geringschätzung der Braunkohle durchaus nicht berechtigt ist, daß sich mit Braunkohlenbriketts eine rauch- und rußlose sowie geruchlose Verbrennung erzielen läßt, und daß die Briketts neben diesen hygienischen auch wirthschaftliche Vorzüge besitzen. Ihre vielseitige Anwendbarkeit wird an einer großen Reihe von Dauerbrand- und Kachelöfen, an einem Zentralheizungskessel, einem Backofen und einem Hotelküchenherd, die alle mit Braunkohlenbriketts geheizt werden, vorgeführt. Daß dieses Brennmaterial tatsächlich in den letzten Jahren in Haushalt und Industrie steigenden Absatz findet, ergibt sich aus der erheblichen Produktionszunahme. Während 1897 in Deutschland nahezu 4 Millionen t Braunkohlenbriketts hergestellt wurden, beträgt die Produktion heute schon über 25 Millionen t. Die Fabrikation der Briketts wird an einem großen, von der Kgl. Bergakademie zu Berlin zur Verfügung gestellten Modell vorgeführt. Die Braunkohle wird dabei zunächst mit Walzen gebrochen und in Mühlen weiter zerkleinert; das feine Kohlenpulver, das 55–60 v. H. Wasser enthält, wird dann in Röhren- oder Tellertrocknern, die mit Abdampf geheizt sind, auf 12–15 v. H. Wassergehalt herabgetrocknet, nochmals gesiebt und schließlich in Pressen unter einem Druck von etwa 1500 at ohne Zusatz eines Bindemittels in die gewünschte Brikettform gebracht. Durch diesen Prozeß wird der Heizwert der Braunkohle mehr als verdoppelt; er steigt von 2000–2500 WE bei der Rohkohle, auf 4700–5100 WE beim Brikett. Eine Presse leistet in 24 Stunden bis zu 150 t Briketts. Die Werke des oben genannten Vereins arbeiten mit zusammen 350 Pressen und erzeugen von der erwähnten Gesamtproduktion etwa 6½ Millionen t. Textabbildung Bd. 326, S. 738 Fig. 1. Die von L. und C. Steinmüller in Gummersbach gelieferte Kesselanlage besteht aus einem Wasserröhrenkessel von 157 qm Heizfläche und einem Ueberhitzer von 50 qm Heizfläche. Das Wasser wird auf chemischem Wege mit Kalk und Soda gereinigt (4 cbm stündlich), selbsttätig gemessen und in einem Economiser um etwa 60° vorgewärmt. Die Anlage liefert normal stündlich 3100 kg, maximal 3900 kg überhitzten Dampf von 350° C und einen Ueberdruck von 14 at. Die Zuführung des Brennstoffs geschieht durch eine selbsthätige Wurffeuerung, System Seyboth, die mit Schneidewalzen versehen ist und es daher ermöglicht, Briketts jeden Formats zu verfeuern. Die Briketts werden aus einem geschlossenen Vorratsraum mittels eines Transportbandes vollkommen staubfrei in den Beschickungstrichter gefördert; ebenso erfolgt die Entfernung der Asche auf maschinellem Wege. Der 45 m hohe Schornstein der Anlage ist in sehr geschickter Weise mit einem Aussichtsturm umbaut, auf den ein elektrisch betriebener Fahrstuhl hinaufführt. Der erzeugte Dampf wird in einer unterirdischen Hochdruckleitung den in der Halle aufgestellten Maschinen und in einer besonderen Leitung dem weiter entfernten Wellenbad der Ausstellung zugeführt. Von den Maschinen, die im Betrieb vorgeführt werden, sind zu nennen eine Verbund-Ventilmaschine der Cottbuser Maschinenbauanstalt und Eisengießerei, A.-G., die normal 250 PS leistet und mit einer Dynamomaschine direkt gekuppelt ist. Neben einer 70 pferdigen Heißdampf-Verbundlokomobile mit Kondensation der Dresdner Maschinenfabrik und Schiffswerft Uebigau, A.-G., die ebenfalls zur elektrischen Stromerzeugung dient, sind noch mehrere Lokomobilen ausgestellt, die nur zur Demonstration durch Elektromotoren betrieben werden. Darunter befinden sich eine stationäre Heißdampf-Verbundlokomobile der Firma Heinrich Lanz, Mannheim, mit Ventilsteuerung „System Lentz und mit Kondensation für eine Maximalleistung von 150 PS und eine Heißdampf-Tandemlokomobile von R. Wolf, Magdeburg-Buckau, mit Einspritzkondensation und Kolbenschieber-Steuerung für eine Leistung von 60–86 PS. Besonders bemerkenswert an dieser Maschine ist eine elektrisch betätigte Abstellvorrichtung zur Verhütung von Unfällen. Textabbildung Bd. 326, S. 738 Fig. 2.Diesel-Motor der Gasmotorenfabrik Deutz. Auch die Verbrennungsmotoren sind gut vertreten. Zwei Diesel-Motoren stehender Bauart dienen ebenfalls zur Stromerzeugung. Der eine von ihnen stammt von der Görlitzer Maschinenbauanstalt und Eisengießerei, A.-G.; er hat drei Zylinder und eine Gesamtleistung von 150 PS, während der andere von der Gasmotorenfabrik Deutz, Köln-Deutz, gelieferte Motor (Fig. 1 und 2) zwei Zylinder hat und 80 PS leistet. Er wird mit billigem Steinkohlenteeröl betrieben, so daß die Brennstoffkosten nur etwa 0,9 Pf. f. d. PS/Std. betragen. Die Firma Benz & Co., A.-G., Mannheim, ist mit einer Reihe kleiner Motoren vertreten, die mit Benzin, Spiritus oder anderen leichten Oelen betrieben werden können und sich ebenfalls durch einen geringen Brennstoffverbrauch auszeichnen. Auch die für die Preßgasbeleuchtung des Ausstellungsgebietes erforderlichen Kompressoren sind in der Kraftstation untergebracht, und zwar ein elektrisch betriebener Kompressor der Firma Julius Pintsch, A.-G., Berlin, der das gewöhnlich unter einem Druck von 35–40 mm stehende Leuchtgas auf 1300–1400 mm Wassersäule komprimiert, und eine Pharoslichtanlage der Auer-Gesellschaft, Berlin, bei der entweder das Leuchtgas oder die Verbrennungsluft komprimiert werden kann. Bei der hier ausgestellten Anlage wird die Luft komprimiert und in einer besonderen Leitung den Gasbrennern zugeführt, während das Gas unter dem gewöhnlichen Druck ausströmt. Ein zweiter Pintsch-Kompressor, (Fig. 3) der mit einem Gardner-Gasmotor direkt gekuppelt ist, dient als Reserve. Jeder dieser Kompressoren hat eine größte Ansaugleistung von 70 cbm i. d. Std., die für 70 Pintsch-Preßgaslampen von je 2000 HK ausreicht. Schließlich finden sich in dieser Halle noch eine größere Zahl von Kohlentransporteinrichtungen, Gegenstromvorwärmern, Hochdruckrohrleitungen, Reduzier- und Sicherheitsventile, Abdampfentöler, Rauchgasprüfer und sonstiger Zubehör für Kraftanlagen. Textabbildung Bd. 326, S. 739 Fig. 3.Pintsch-Kompressor zur Erzeugung von Preßgas, mit Gasmotor gekuppelt. Die der Kraftstation gegenüberliegende Halle 53 enthält die für den Techniker ebenfalls sehr interessanten Gruppen „Beruf und Arbeit, Technik und Maschinen“. In der wissenschaftlichen Abteilung dieser Gruppe finden wir ein reichhaltiges statistisches Material aus dem Gebiet der Arbeiterwohlfahrt und Berufshygiene, auf das näher einzugehen wir uns hier leider versagen müssen. Dagegen sei besonders auf die sehr instruktive Ausstellung „die chemische Industrie und die Menschliche Gesundheit“ hingewiesen, die von dem Hygienischen Institut der Universität Würzburg veranstaltet ist und in zahlreichen Präparaten und Bildern die wichtigsten giftigen und ätzenden Stoffe der chemischen Industrie und ihre Einwirkung auf die Gesundheit, wie Phosphor- und Arsenvergiftung, Karbolsäurevergiftung und den in Farbenfabriken häufig vorkommenden Anilismus, vorführt. Dabei wurde besonderer Wert darauf gelegt, zu zeigen, daß diese Stoffe unentbehrlich sind, weil aus ihnen vielfach ungiftige Stoffe von großer technischer Bedeutung oder gar Arzneimittel hergestellt werden. Auch die Ausstellung des K. B. Arbeitermuseums in München, das die Milzbrandgefahr in den Roßhaar, Borsten und Felle verarbeitenden Gewerben veranschaulicht, ebenso wie die Ausstellung des Frankfurter Instituts für Gewerbehygiene, das in zahlreichen Proben und Mikrophotogrammen die verschiedenen Arten des gewerblichen Staubes, deren Wirkung auf die Gesundheit der Arbeiter und zweckmäßige Vorrichtungen zur Entstaubung von Fabrikraumen vorführt, verdient die Aufmerksamkeit aller derjenigen, die im praktischen Betrieb tätig sind. Die industrielle Abteilung dieser Halle enthält die verschiedensten Hilfsapparate und Einrichtungsgegenstände für den Fabrikbetrieb, wie Vakuum-Eindampfapparate aus Kupfer und Reinnickel (C. Postranecky, Dresden), Zentrifugen verschiedenster Bauart mit patentierten Schutzvorrichtungen (Gebr. Heine, Viersen), Exhaustoren aus Aluminium, Schmirgelschleifmaschinen, ferner eine pneumatische Transportanlage für Getreide, Malz oder chemische Produkte, Luftfilter und Staubabsaugevorrichtungen für chemische Fabriken, speziell für Superphosphat- und Farbenfabriken (Mühlenbauanstalt und Maschinenfabrik vorm. Gebr. Seck, A.-G., Dresden); weiter findet man hier eine große Zahl von Isolier- und Dichtungsmaterialien für Rohrleitungen, wie Kieselgur, Korkstein, Asbest und Gummi, ebenso Filtertücher und Schutzkleidungen aus Asbest für Feuerwehrleute und Gießereiarbeiter. Die Thum-Maschinen-Gesellschaft m. b. H., Dresden, führt ihr patentiertes Verfahren zur Reinigung und Veredelung von Rohkaffee im Betrieb vor; wir finden hier Schnellröstmaschinen mit Gasheizung, selbsthätige Wiegeapparate, ferner Apparate zur Milchreinigung und zur Käsefabrikation, die den höchsten Anforderungen in technischer und hygienischer Hinsicht entsprechen. Sehr interessant ist eine reichhaltige Ausstellung von Sicherheitsgrubenlampen (Wilh. Seippel, Bochum, und Friemann & Wolf, G. m. b. H., Zwickau), die teils für Benzinbrand, teils für elektrischen Betrieb eingerichtet sind. Auch das Azetylen hat sich seit einigen Jahren im Bergbau Eingang verschafft, nachdem sich die Vorstellungen über die Explosionsgefahr dieser Lampen als übertrieben erwiesen haben. Heute sind sie in vielen Tausenden von Exemplaren in den deutschen wie in den ausländischen Gruben verbreitet, denn sie liefern ein viel stärkeres Licht als die alten Rüböllampen, sie rußen nicht und sind auch im Betrieb billiger. Ein weiterer wesentlicher Vorzug ist, daß sie weniger Sauerstoff verbrauchen als andere Lampen und infolgedessen zur Frischhaltung der Luft in den Gruben beitragen. Während aber die Azetylenlampen bisher nur in schlagwetterfreien Gruben angewandt werden konnten, ist nun auch die Konstruktion einer allgemein verwendbaren Sicherheitslampe gelungen, von der eine Ausführung für 50 HK Lichtstärke ausgestellt ist. Hierdurch ist der Karbid- und Azetylenindustrie ein neues weites Absatzgebiet erschlossen worden, denn nach einer kürzlich auf dem Internationalen Kongreß für Karbid und Azetylen in Wien gemachten Mitteilung kann man die Zahl aller im unterirdischen Bergbau beschäftigten Arbeiter auf 2,7 Millionen Mann annehmen, von denen jeder etwa 60 kg Karbid jährlich verbraucht. In Verbindung mit den Benzin-Sicherheitsgrubenlampen ist eine explosionssichere Füllanlage ausgestellt, die auch unter Tage ein vollständig gefahrloses Füllen der Lampen gestattet. In sehr wirkungsvoller und anschaulicher Weise führt die Maschinenbau-A.-G. Martini & Hüneke, Berlin, ihr patentiertes Verfahren zur unfallverhütenden Lagerung von feuergefährlichen Flüssigkeiten unter Kohlensäuredruck vor (Fig. 4); man findet hier neben Modellen und schematischen Zeichnungen ausgeführter Anlagen auch verschiedene Originalapparate und Zubehörteile, unter denen besonders die doppelwandigen Leitungsrohre und Sicherheitsventile von Interesse sind, die im Fall eines Rohrbruches durch selbsthätiges Abschließen der Leitung ein Ausfließen brennbarer Flüssigkeit unmöglich machen. Anlagen dieser Art sind in großer Zahl in Bergwerken, chemischen Wäschereien und Fabriken, Drogerien und Automobilgaragen, auf fast allen neueren Schiffen der deutschen Kriegsmarine und in den meisten Luftschiffhallen errichtet Worden.Neuerdings sind auch zum Schutz der Benzintanks in den Gondeln der Luftschiffe selbst solche Schutzvorrichtungen eingebaut worden. Außer der erhöhten Sicherheit gegen Explosion, Verbrennung und Blitzzündung gewähren diese Anlagen auch wirthschaftliche Vorteile, denn es entstehen keine Abfüll- und Verdampfungsverluste, es darf ein größeres Quantum im Hause gelagert werden als sonst, ohne daß ein feuersicherer Keller erforderlich ist, und die Feuerversicherungen gewähren ermäßigte Prämien. Auch die Fabrik explosionssicherer Gefäße, G. m. b. H., Salzkotten i. W., zeigt hier ihre Erzeugnisse, darunter auch ihren Feuerlöschapparat „Perkeo“, dessen Wirkung auf der Bildung eines kohlensäurehaltigen Schaumes beruht. Textabbildung Bd. 326, S. 740 Fig. 4.Benzin-Sicherungs- und Destillationsanlage für eine chemische Fabrik, System M & H (Fortsetzung folgt.)