Titel: Graphische Rechentafeln.
Autor: Hermann Pflieger-Haertel
Fundstelle: Band 339, Jahrgang 1924, S. 151
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Graphische Rechentafeln. Von Dr. Hermann Pflieger-Haertel, Berlin-Wannsee. PFLIEGER-HAERTEL, Graphische Rechentafeln. In neuerer Zeit gewinnen graphische Rechenmethoden immer größere Verbreitung. Es erscheint daher angebracht, an einem ganz einfachen Beispiele, dem Ohmschen Gesetz, die verschiedenen Möglichkeiten der graphischen Darstellung einmal aufzuzeigen und die Eigenarten, Vorteile und Nachteile jeder Darstellungsart zu erörtern. Es sei J = Stromstärke W = Widerstand E = elektromotorische Kraft. Das Ohmsche Gesetz lautet dann bekanntlich E = J. W. Je ein Wert von E, J und W gehören also zusammen, bilden ein Wertetripel; durch zwei von den drei Großem ist die dritte bestimmt. Die Gesamtheit aller dieser Werte können wir durch eine Fläche darstellen. Textabbildung Bd. 339, S. 151 Abb. 1. Es werde etwa J = x W = y E = z gesetzt, und x und y als Abszisse und Ordinate in einer horizontalen Ebene, z als die senkrecht zu dieser Ebene gemessene dritte Koordinate, als die „Höhe“ der Fläche gedeutet. Die so bestimmte Fläche kann also als Darstellung des Ohmschen Gesetzes angesehen werden (Abb. 1). 1. Kartesische Rechentafel mit krummlinigen Kurven. Von dieser räumlichen Darstellung gelangt man leicht zu einer Darstellung in der Ebene. Denken wir uns den Wert von E fest gegeben gleich c, dann liegen alle Punkte, die der Bedingung z = c genügen, auf einer zur x-y-Ebene parallelen Ebene, und da sie zugleich auf der Fläche liegen müssen, bestimmen sie die Schnittlinie der Fläche und der Ebene. Textabbildung Bd. 339, S. 151 Abb. 2. Ein anderer Wert von E liefert eine andere Kurve. Alle diese Kurven (Abb. 1) liegen in Ebenen parallel zur Grundfläche, es sind „Höhenschichtlinien“ der Fläche. Denken wir uns nun diese Schichtlinien senkrecht auf die x-y-Ebene projiziert, so erhalten wir eine sogenannte „kotierte Projektion“ der Fläche und damit zugleich eine kartesische Rechentafel (Abb. 2). Die Schichtlinien selbst und demgemäß auch ihre Projektionen, die ihnen ja kongruent bleiben, sind gleichseitige Hyperbeln, deren Gleichung (2)        x ∙ y = c lautet. Längs jeder Hyperbel ist die elektromotorische Kraft E konstant, und die beiden Koordinaten des Hyperbelpunktes geben dazu gehörige Werte von J und W. Die Herstellung dieser Tafel vollzieht sich in der Weise, daß man für gleichmäßig fortschreitende Werte von E = c die zugehörigen Hyperbeln punktweise berechnet und aufzeichnet. Die Hyperbeln werden mit den zugehörigen Werten von E beziffert. Die Benutzung der Tafel geht ohne weiteres aus Abb. 2 hervor, die für Werte von J und W im Intervall von 0 bis 10 gilt. Die eingezeichneten Hilfslinien geben den Fall J = 5, W = 3, E = 15. Zwischen die gezeichneten Kurven kann man nach Augenmaß weitere einschalten, so daß auch nicht gezeichnete Werte von E abgelesen werden können. Der Nachteil solcher Tafeln liegt einmal in der etwas umständlichen Herstellung. Weiter wirkt die Vielheit der auf ihnen gezogenen Kurven unter Umständen verwirrend. Das tritt besonders dann hervor, wenn nicht, wie in dem gezeichneten einfachen Beispiele, die Kurven nur nebeneinander herlaufen, sondern wenn sie sich auch überschneiden. Sodann liegt eine Schwierigkeit für die Interpolation darin, daß der Abstand zweier Kurven nicht überall längs der Kurven derselbe ist. 2. Kartesische Rechentafel mit Geradenscharen. Eine wesentlich einfachere Tafel erhält man durch ein Verfahren, das nach Lalanne als „Anamorphose“ bezeichnet wird. In unserem Falle geschieht die dazu notwendige Umformung der Gleichung (1) leicht durch Logarithmieren. (3)            log J + log W = log E. Setzt man jetzt log J = x log W = y log E = z, so erhält man für jeden Wert von z = c die Gleichung einer Geraden (4)            x + y = c und zur Darstellung aller möglichen Wertetripel; x, y, z eine Schar paralleler Geraden, die gegen die x-Achse unter 135° geneigt sind. Textabbildung Bd. 339, S. 152 Abb. 3. Diese Tafel (Abb. 3) vermeidet die beiden Nachteile der Tafel 1: schwierige Herstellung und unbequeme Interpolation. Die Zeichnung der Geradenschar ist unter Benutzung von logarithmischem Papier sehr einfach, da jede zu einem bestimmten Werte von log E = c gehörende Gerade durch die Punkte der x- bzw. y-Achse geht, die den gleichen Wert c als Abszisse bzw. Ordinate haben. Die Interpolation ist für das ganze Gebiet zwischen zwei Geraden ganz gleich, da der Abstand der beiden Geraden überall derselbe ist. Demgemäß kann man zur Erleichterung der Interpolation eine Gerade OA senkrecht zur Geradenschar zeichnen, auf der mehr Zwischenwerte von c eingetragen werden. Textabbildung Bd. 339, S. 152 Abb. 4. Textabbildung Bd. 339, S. 152 Abb. 5. Das Wesentliche an dieser Tafel besteht für den praktischen Gebrauch darin, daß an den Skalen nicht die Werte von x, y und z, also die Logarithmen von J, W und E angeschrieben werden, sondern die Werte von J, W und E selbst. Jeder Techniker kennt diese Art der Bezifferung vom Rechenschieber her, der ebenfalls logarithmische Teilung trägt, die mit den Numeri der Logarithmen beziffert ist. Die ausgeführte Tafel zeigt Abb. 3. Die eingezeichneten Hilfslinien geben den Fall J = 5, W = 3, E = 15. 3. Rechentafel mit Ablesevorrichtung. Man kann die so skizzierte Tafel wesentlich vereinfachen, indem man nur die drei Geraden OX, OY und OA mit den auf ihnen abgetragenen Skalen zeichnet (Abb. 4) und dafür zum Ablesen eine besondere Vorrichtung benutzt. Diese gewinnt man, indem man die drei in Abbildung 3 gestrichelt gezeichneten Hilfsgeraden auf ein durchsichtiges Blatt Papier zeichnet, wie Abb. 5 zeigt: X'X'', Y'Y'', Z'Z''. Zu jedem Wertetripel gehörten ja drei solche Gerade, die immer dieselben Winkel miteinander einschließen. Der Vorgang des Ablesens sei an dem Beispiel E = 15, J = 5 erläutert. Man legt das Ableseblatt so auf die Tafel, daß die Gerade Z'Z'' ⊥ OA liegt und durch den Punkt 15 der Skala auf OA geht. Dann verschiebt man das Ableseblatt in der Weise, daß Z'Z'' in sich gleitet, so lange, bis Y'Y'' durch J = 5 hindurchgeht. Der Schnittpunkt der Geraden X'X'' mit der Skala der W-Werte gibt den gesuchten Wert von W, in unserem Falle 3, an. Um die Richtungen der Zeigergeraden leicht festlegen zu können, empfiehlt es stich, zu der Skala der J und W je eine Parallele zu zeichnen, die die gleiche Skala trägt, wobei Punkte mit gleicher Bezeichnung einander senkrecht gegenüber liegen müssen. Das ist in Abb. 4 geschehen. Die Zeigergeraden haben dann stets die notwendigen Richtungen, wenn X'X'' oder Y'Y'' durch die beiden entsprechenden Punkte der zu ihr gehörenden Skalen hindurchgeht. 4. Hexagonale Tafel. Einen Nachteil hat die so entworfene Tafel und ihre Ablesevorrichtung noch: die drei Zeigergeraden dürfen nicht miteinander vertauscht werden. Um dies zu, ermöglichen und dadurch die Bequemlichkeit und Schnelligkeit der Benutzung wesentlich zu steigern, muß man es so einrichten, daß die drei Zeigergeraden gleiche Winkel miteinander einschließen, also gegeneinander um 60° geneigt sind. Textabbildung Bd. 339, S. 153 Abb. 6. Dazu müssen natürlich auch die Skalen gerade dieselbe Neigung gegeneinander besitzen. Es entsteht die Tafel Abb. 6 Sie beruht auf folgendem Satz: Die von einem beliebigen Punkte auf die drei Geraden gefällten Lote schneidet auf den Geraden solche Strecken ab, daß die Strecke auf der mittleren Geraden gleich der Summe der Strecken auf den beiden anderen Geraden ist. Trägt man auf den Geraden logarithmische Skalen ab, so hat man eine Multiplikationstafel für die Numeri, mit denen man natürlich die Skalen beziffert. Die Tafel bietet außer dem bereits hervorgehobenen Vorteil der Vertauschbarkeit der Zeigergeraden noch die Annehmlichkeit bei der Herstellung, daß die Maßstäbe aller drei Skalen einander gleich sind. Eine derartige Tafel bezeichnet man als eine hexagonale Tafel. Zur leichten Richtungsorientierung der Zeigergeraden sind in der ausgeführten Tafel Abb. 6 wiederum zu den J- und W-Skalen Parallele mit gleicher Skala gezeichnet worden. In der Notwendigkeit einer besonderen Ablesevorrichtung liegt natürlich ein Nachteil dieser Tafeln. Außerdem kann gegen sie eingewendet werden, daß sie dem Verziehen ausgesetzt sind. Aber der Vorteil der größeren Uebersichtlichkeit gegenüber den kartesischen Tafeln ist bedeutend und zwar im allgemeinen größer, als es bei unserem einfachen Beispiel sich zeigt. Textabbildung Bd. 339, S. 153 Abb. 7. Besonders tritt dieser Vorteil bei denjenigen Tafeln hervor, bei denen die Ablesevorrichtung so einfach wie möglich ist, nämlich nur aus einer Geraden besteht. Es sind dies die sogenannten Tafeln der fluchtrechten Punkte oder Fluchtlinientafeln, für die sich neuerdings der diese ganze Klasse umfassende Name Leitertafeln eingebürgert hat. Für unser Beispiel kommen Leitertafeln mit geraden Leitern in Frage und zwar in zwei verschiedenen Formen, einmal die gewöhnliche Leitertafel mit parallelen Leitern und weiter die sogenannte Z-Tafel. 5. Gewöhnliche Leitertafel. Die gewöhnliche Leitertafel besteht aus drei einander parallelen Geraden (Abbildung 7), die gleichen Abstand voneinander haben. Auf den beiden äußerem Geraden sind die Werte von log J bzw. log W in gleichem Maßstabe, auf der mittleren Geraden die Werte von log E im halben Maßstabe aufgetragen. Die Anfangspunkte der drei Leitern liegen auf einer geraden Linie. Beziffert sind die Leitern mit den Werten von J, W und E selbst. Textabbildung Bd. 339, S. 154 Abb. 8. Je drei zusammengehörige Werte von J, W und E liegen dann auf einer Geraden. Für das Beispiel J = 5, W = 3, E = 15 ist diese Gerade gestrichelt gezeichnet, in der Praxis benutzt man ein Lineal oder eine auf ein Blatt Pauspapier oder besser auf Zelluloid gezeichnete Gerade zum Aufsuchen zusammengehöriger Werte. 6. Z-Tafel. Die Z-Tafel (Abb. 8) besteht aus zwei parallelen und einer sie schneidenden Geraden. Auf den beiden Parallelen sind von den Schnittpunkten mit der dritten Geraden aus nach entgegengesetzten Richtungen die Werte von J bzw. E in regulären Leitern abgetragen. Die Transversale trägt die Werte von W in einer sogenannten projektiven Leiter. Wieder liegen zusammengehörige Werte der drei Variablen auf einer Geraden, die für den Fall J = 5, W = 3, E = 15 gestrichelt eingezeichnet ist. Die Zeichnung der W-Leiter geschieht auf Grund der Tatsache, daß zusammengehörige Werte der drei Variabeln auf einer Geraden liegen. Wie ersichtlich drängen sich die höheren Werte von W sehr zusammen. Für diese Werte ist also die Z-Tafel wenig geeignet. Aus der vorstehenden Zusammenstellung ersieht man, daß für den Entwurf graphischer Rechentafeln eine große Anzahl Möglichkeiten besteht. Diese vergrößert sich stark mit der Anzahl der Variabeln, so daß man den besonderen Erfordernissen des einzelnen Problems jedesmal volle Beachtung zuteil werden lassen kann. Kartesische Rechentafeln geben im allgemeinen einen besseren Ueberblick über den Verlauf der Werte der Variabeln in Abhängigkeit voneinander, während die Leitertafeln für die eigentliche Zahlenrechnung den Vorzug verdienen. Im besonderen treten ihre Vorzüge bei einer größeren Anzahl Variabler zutage. Bei einer so einfachen Formel wie dem Ohmschen Gesetz wird man natürlich nicht zur graphischen Rechentafel greifen. Hier leistet der Rechenschieber bessere Dienste. Nur der Durchsichtigkeit der Darstellung wegen wurde dieses einfache Beispiel gewählt.